Rochenflügel & „Die Königin des Gemüses“
Text: Roland Buß ̵ Fotos Kirsten Buß
Zum Rochen
Wie macht ihr das eigentlich, wenn ihr unbekannte Restaurants aufsucht? Rastern eure Augen die gereichte Speisekarte auf Bekanntes oder gehört ihr zu den 13 Prozent der Konsumenten, die ein ausgeprägtes Entdecker-Gen in sich bergen – ständig auf der Suche nach dem, was sie nicht kennen, noch nicht probiert haben?
Es dürfte ca. 25 Jahre her sein, als ich das legendäre „Roberts Bistro“ im Düsseldorfer Medienhafen zum ersten Mal besucht habe. Keine Reservierungen, keine Kartenzahlungen, kein sonstiger
Schnick-Schnack, der vom Wesentlichsten ablenkte – der eng beschriebenen Speisekarte dieses Hot-Spots, nebst hinterlegter Kulinarik. Auf einer einzigen DIN A4 Seite hatte eine Gabriele-Schreibmaschine gefühlte 50 Gerichte ins Papier gehämmert.
Während es bisweilen schwerfällt, auf 30 gebundenen Seiten in Leder auch nur einen einzigen Wow-Effekt auf der inspirationsarmen Speisekarte auszumachen, war die Lektüre dieses abgegriffenen Blattes wie eihnachten für meine kulinarische Seele.
Bei meiner Premiere in dieser Institution war es ein Rochenflügel, der mich anfixte. Ich meine, es wäre seinerzeit eine Nougat-Sauce gewesen, auf dem das Teil drapiert war. Auf jeden Fall irgendetwas äußerst Schräges. Die Erinnerung an die Sauce scheint verblasst, was geblieben ist, ist die Passion für dieses grandiose Stück Fisch. Extrem schmackhaft und extrem einfach zu futtern – auch für Gräten-Allergiker – weil keine vorhanden. Man muss sich schon ein bisschen suboptimal-schlau anstellen, um eine der dicken Knorpel in den Mundraum zu bekommen. Die sind nämlich enorm lang und verlaufen alle vom Mittelteil weg, wie man auf den Bildern unschwer erkennen kann. Es ist relativ einfach das butterweiche, wohlschmeckende Fleisch von diesen Knorpeln zu gabeln.
Fakt ist, dass man diese Teile nur sehr schwer bekommt. Es sein denn, man hat ein sehr gutes Verhältnis zum Fischdealer seines Vertrauens. Rochen findet man vornehmlich in sterne-dekorierten Restaurants. Das liegt daran, dass dieses Sensibelchen so gut wie keine Lagerzeit verträgt – ansonsten setzt er einen Geruch nach Ammoniak frei – was ihn zum Stinktier in der Fischwelt mutieren lässt. Also ganz herzlichen Dank an Jan de Graaf, vom Bocholter Wochenmarkt, dass du uns hin und wieder diesen Sonderwunsch erfüllst und Rochen organisierst.
Vielleicht sollten wir eine WhatsApp-Rochen-Bestell-Gruppe einrichten. So kämen viele in den Genuss dieses großartigen Fisches und Jan könnte gezielter einkaufen. Was meint ihr? Es wäre
unterlassene Hilfeleistung am Gaumen der Fisch-Freaks in dieser Region, wenn wir auf diesem Gedanken nicht weiter rumkauen.




Zum Spargel
Anfang April hat das Warten ein Ende. Dann heißt es „Spargel Just Arrived“ analog zum jungen Beaujolais Premieur im Herbst. In den sieben Wochen bis zum Spargel-Silvester am 24. Juni kann ich
selten an den Auslagen von frischem Spargel vorbeimarschieren. Allzu gerne widme ich mich dieser Königin unter dem Gemüse. Mal eher klassisch mit vielerlei Schinken, Kartoffeln und Sauce Hollandaise. Gerne auch mit einer Batterie von kleinen, gebratenen Wiener Schnitzeln.
Zum würdigen Start in die Saison sollte es ein wahres Spektakel für Auge und Gaumen werden. Wir hatten zwar schon ein paar früh geborene Exemplare in einem Supermarkt absortiert, weil wir nicht widerstehen konnten. Aber, großes ABER! Diese importierten Exponate sind einfach nicht mit denen zu vergleichen, die unsere heimischen Erzeuger und Marktbeschicker für uns parat halten. An diesem Tag bewaffneten wir uns mit frisch geschältem Spargel vom Marktstand von Andreas Blomen vor der St. Georgius-Apotheke am historischen Rathaus.
Bei Jan de Graaf holten wir die bestellten Rochenflügel auf und eine Lachsforelle – quasi als Nachspeise.
Rochen meets Spargel
Während wir eine klassische Gemüsebrühe mit einer Handvoll Kerbel leicht ans Simmern brachten, genehmigten wir uns ein erstes Glas Küchenwein. Unsere Erinnerungen an wunderschöne Zeiten im Ahrtal reichen zurück bis ins Jahr 1998. Damals schwer vorstellbar, dass 23 Jahre später die Natur den Menschen so unbarmherzig die Karten legt. Es vergeht kaum ein Monat, wo ich nicht an unsere Freunde, Bekannten und unsere genossenen Momente dort denke.
Beim Rastern der Auslagen von Weinhandlungen und gut sortierten Verbrauchermärkten, gebietet es mein Anstand, vornehmlich zu Weinen aus der not leidenden Region zu greifen. In diesem Fall waren es ein paar Flaschen Blanc de Noir von der Winzergenossenschaft Mayschoss Altenahr, die letztendlich in unseren Kühlschrank wanderten. Eine dieser Flaschen befreiten wir vom Drehverschluss. Das leicht mahlende Geräusch des Sandes und der Schmutzrand an der Kapsel ließen uns dieses Überbleibsel der Jahrhundertflut noch ehrfürchtiger genießen.
Während die Lachsforelle mit Kräutern gefüllt ihr Bett auf einem mit Backpapier ausgelegtem Backblech fand, wurde der Ofen auf 180 Grad vorgeheizt. Einen ordentlich Schuss Olivenöl drüber, ein gutes Meersalz und frisch gemörster Pfeffer und ab in den Ofen.
Während der weiße Spargel in der Kerbel-Brühe sein Vollbad nahm, haben wir den Grünspargel geschnitten und in Kokosblütenzucker und Olivenöl angebraten. Parallel dazu, wurden die portionierten Rochenflügel-Teile in Mehl gewendet, um sie anschließend in eine Pfanne mit glasiger Butter zu geben. Um dem Thema „Butter bei die Fische“ gerecht zu werden, haben wir Nocken von Bärlauchbutter mit in die Pfanne gegeben.
Rechtzeitig vor Ende der Bärlauch-Saison hatten wir ein Kilogramm dieses kongeniales Lauchgewächses, mit seinem an Knoblauch erinnerndem Aroma, im Handelshof ergattert. Zehn zimmerwarme Pakete Butter feierten ihre Hochzeit mit dem geschredderten Bärlauch – ausreichend für sieben stattliche Gläser und die nächsten drei Monate. Wenn ihr keinen Bärlauch mögt oder keinen bekommt … auch nicht als TK-Ware … Kapernbutter ist auch ziemlich genial zum Rochen. Wir haben die Kapern
als AddOn dazu gegeben, sowie ein paar Zitronenspalten.


Der karamellisierte Grünspargel machte es sich auf dem Backblech mit der Lachsforelle gemütlich und wir an unserer Tafel, wo wir das Spektakel arrangierten. Bereichert um ein Kartoffel-Pü, was wir ebenfalls mit Bärlauchbutter geadelt hatten. Dazu noch ein paar Meersalz-Kartoffeln, für die Freunde der puren Kartoffel, ein paar hartgekochte Eier von unseren Freunden vom Vriesenhof und zwei Sorten Hollandaise – eine mit Trüffelpaste und eine mit frischem Kerbel-Grün.
Zur Verstärkung der Erinnerungen an unsere ältesten und längsten Wurzeln ins Ahrtal, entkorkten wir eine Flasche Meyer-Näkel „Illusion“ – ebenfalls ein Blanc de Noir. Es fühlt sich beinahe wir gestern an, als Alfred Biolek diesen weiß-gekelterten Rotwein in einer seiner Kochsendungen präsentierte. Damals eher ein Novum – heute für uns ein
Mahnmal, wie schnell sich alles verändern kann. Und dass ein behütetes, schönes, sicheres Leben morgen schon eine „Illusion“ sein kann.
Wie zitierte der Lehrer John Keating, gespielt von Robin Williams, den Dichter Walt Whitman im Film „Der Club der toten Dichter“:
„Pflückt Rosenknospen solange es geht, die Zeit sehr schnell euch enteilt.
Die gleiche Blume, die heute noch steht, ist morgen dem Tode geweiht.“
Anhand dieses Gedichtes ermuntert er seine Schüler zu „Carpe Diem“ –
sprich den Tag, das Leben zu nutzen.
Im September 2020 wollten wir die Gelegenheit nutzen, um Robert Hülsmann zu interviewen – den Gründer vom schon erwähnten Roberts Bistro und weiterer Wallfahrtsorte des ursprünglichen Genusses. Ziel war es, das „kulinarische Vermächtnis“ dieses charismatischen Gastronomen zu erfragen. Kitchen-Secrets jenseits der Rezepte seiner Kochbücher. Die Passion für frankophile Brasserie-Gerichte – fernab von Schäumchen und ChiChi sowie überkandidelten Küchengehabe.
Robert hatte zugesagt. Corona bedingt haben wir uns vertagt. Im Mai 2021 starb Robert mit 74 Jahren. Ihr glaubt nicht, wie wir es bereuen, diesen Moment nicht genutzt zu haben.
Wir wollen euch nicht irritieren oder zu schwermütig werden. Wie immer wollen wir mit unserer Kitchen-Story ermutigen und inspirieren.
Falls ihr neugierig geworden seid, Lust auf vinologische „Fundstücke“ (Flutweine) habt, die Menschen von Weingut Meyer-Näkel unterstützen wollt, hier der Link: shop.meyer-naekel.de
Die Weine sind echt toll. Aber zugegeben, wir sind emotional und gaumentechnisch befangen.
Euer PAN-KitchenStories-Team



