Anja & Carmelo vom „La Vita“ im „Werk II“ auf dem Gasthausplatz
Text/ Interview: Roland Buß & Fotos: Kirsten Buß
Donnerstag, 22.04.2022, 11.00 Uhr
MÜ12 Verlag, Münsterstraße 12 in Bocholt
Wir empfangen das Sardisch-sizilianisch-deutsche Paar zum kulinarischen Interview: Carmelo Nairi, Baujahr 1960, im Süden Sardiniens geboren und großgeworden – zwischen Bergen und Meer im Ort Teulada. Anja Sorbello-Nairi, Baujahr 1968, an der holländischen Grenze, zwischen Rodelberg und AaSee aufgewachsen – eine waschechte Bocholterin mit sizilianischen Wurzeln.
Der Sarde
Carmelo, eigentlich ist es unhöflich, deiner Anja nicht den Vortritt zu lassen, aber ich denke, dass deine Wurzeln in die Gastronomie noch etwas tiefer schlagen, von daher fangen wir mit dir an. Wann bist du nach Deutschland gekommen?
1980, da war ich zwanzig Jahre alt.
Skizziere bitte deine kulinarischen Stationen …
… vom Tellerwäscher zum Koch?
… wenn es so war …
Ich hatte das Glück, dass ein Lehrer aus der Gastronomie-Schule in Perugia (Italien) von seiner Schule verwiesen wurde, wegen seiner großen Leidenschaft für alkoholische Getränke. Der ist irgendwann in Köln gelandet – im Restaurant „La Vita.“ Er hat mich zu seiner rechten Hand gemacht. Seine Leidenschaft zum Alkohol war ungebrochen und so beschränkte er sich auf dessen Konsum und darauf, mir Anweisungen zu geben. Durch ihn habe ich innerhalb von vier Jahren das Kochen von der Pike auf gelernt. Daneben war ich sein Chauffeur, sein Vorleser, sein
Beschützer, sein Zu-Bett-Bringer, wenn er mal wieder hackenvoll war…
… können wir seinen Namen nennen?
Er hieß Guerriero, was soviel heißt wie Krieger…
… ein Krieger an der Flasche …
das stimmt, auch wenn er manche Schlacht verloren hat. Für mich war er eine ganz wichtige Person in meinem Leben. Er hat mich das Kochen gelehrt, aber auch viele Dinge über das Leben. Nach der gemeinsamen Zeit habe ich in mehreren Restaurants und Hotels in Köln als Küchenchef gearbeitet.
Wann hat es dich nach Bocholt verschlagen?
Das war 2001.
Wie kam es dazu?
Die Story ist so lang und bedeutsam für mich, dass ich darüber ein Buch geschrieben habe.




Hast du dieses Buch schon verlegt?
Noch nicht. Aber ich werde dieses Buch / diese Bücher veröffentlichen – es sind mittlerweile zwei Bände. Der erste handelt von meinen Kindheitserinnerungen bis zu dem Zeitpunkt, als ich ich in Köln gelandet bin. Das habe ich schon geschrieben, es wird derzeit überarbeitet. Der zweite Band behandelt die Zeit nach Köln, daran schreibe ich aktuell.
Dann sollten wir die Spannung hochhalten – ich ziehe meine Frage zurück und überlasse dir die Antwort durch deine Bücher.
So machen wir das.
Wie wichtig ist dir das Schreiben?
Ich schreibe sehr gerne und viel, auch noch auf sardisch. Auf Sardinien haben wir eine eigene Sprache. Es gibt nicht viele, die das auch schreiben können, weil es nicht in den Schulen gelehrt wird. Neben den beiden Büchern sind es auch Gedichte und Liedtexte. Einige wurden schon
veröffentlicht und besungen.
Halten wir fest, du bist 2001 nach Bocholt gekommen. Das Motiv dafür schlummert noch in deinen Büchern. Wo bist du
kulinarisch in Bocholt aufgeschlagen?
Nach ein paar Stationen als Angestellter in Restaurants in der Region habe ich mich 2004 selbstständig gemacht. Ich war Pächter und Gastronom im Golfclub Anholt. Ein wenig später habe ich parallel zum Golfplatz Anholt den Golfplatz Mühlenhof in Kalkar bewirtschaftet. Das habe ich acht Jahre gemacht. Zwischendurch gab es noch ein Engagement in der Nordstraße – ein Friseursalon in Verbindung mit einem Restaurant.
Das stimmt, da wo heute unsere Freundin
Mechtild Hoffs mit ihrem Team ANNA repräsentiert.
Ja, es war kein langes Kapitel.
Ihr wart danach mit dem gleichnamigen „La Vita“ in der Osterstraße – bis der Umzug zum Gasthausplatz ins „Werk II“ folgte. Wann war das?
Das war im November 2018
Carmelo, was ist dein absolutes Leibgericht?
Ich tue mich schwer damit, mich festzulegen. Auf jeden Fall Fisch, wenn du mich so fragst. Essen ist bei mir Gefühlssache, da können es auch Spagetti mit Tomatensauce sein, die den perfekten Genuss für mich darstellen.
Akzeptiert, aber wir machen es einfacher: Wenn du in 50 Jahren auf dem Sterbebett liegen solltest, was wäre dein letzter kulinarischer Wunsch?
Das könnte ich echt nicht sagen.
Du hast ja noch 50 Jahre Zeit zum überlegen. Gibt es denn einen Lieblingswein?
Ja, den Tignanello – den trinke ich leider viel zu selten. Als Weisswein trinke ich sehr gerne einen Vermentino von Sardinien.
Kennst du den Begriff „Böhmische Dörfer“? So geht es mir mit sardischen Weinen, die sind „sardische Dörfer“ für mich. Welches Weingut, welchen Wein würdest du uns empfehlen?
Ich habe vor kurzem eine Palette von einem Weingut auf Sardinien gekauft mit dem Namen Loisa. Den fand ich sehr frisch und irgendwie speziell.
Das kann ich bestätigen, den habe ich bei euch getrunken. Ich fand ihn großartig.
Der Wein war eigentlich für einen anderen Gastronomen bestimmt. Der wollte jedoch ein eigenes Etikett und nicht das Original mit der alten sardischen Frau. Das war aber die Mutter des Winzers. Für mich als Sarde ein weiteres Motiv neben dem Geschmack, diesen Wein zu übernehmen.
Was sind für dich die schönsten Momente im „La Vita?“
Das sind insbesondere Momente, wo Gäste zu Freunden werden.

Die Deutsch-Sizilianerin
Schwenken wir zu Anja, der Ur-Bocholterin, aber nicht ohne italienisches Blut oder?
Das stimmt, meine Mutter ist Bocholterin, mein Vater stammt von Sizilien.
Wie ist dein Bezug zur Gastronomie?
Ich bin im und mit dem Eiscafé meiner Eltern großgeworden – quasi ohne Wochenenden, wie das so ist, in der Gastronomie. Die Beiden betreiben seit 46 Jahren das Eiscafé Venezia in Dingden. Mein Papa ist mittlerweile 80 Jahre alt und macht das immer noch mit Leidenschaft.
Seit wann seid ihr beiden Hübschen denn zusammen? Nach dem Warum frage ich nicht, da wird Carmelo wahrscheinlich ein Buch drüber schreiben …
Könnte sein. Wir sind zusammen seit dem Sommer 2008.
Dein Lieblingsgericht?
Ich habe viele. Irgendetwas mit Spaghetti oder Fusilli – das sind meine Lieblingsnudeln. Gerne mit Tomatensauce und auch gerne mit Fisch.
… welchen Wein gibt es dazu?
Einen Lugana.
Wenn das Restaurant, eure Kinder, Carmelo dich mal nicht brauchen, was machst du dann gerne?
Wenn ich frei habe, dann nutze ich die freie Zeit gerne für Yoga.
Apropos Kinder, wen gibt es da alles?
Wir sind eine echte Patchwork-Familie mit Melina (30), Guiliana (26) und Alegro (17) – die stammen von Carmelo. Meine Tochter heißt Caterina (34), sie ist die Mutter vom kleinen süßen Mats, meinem Sonnenschein. Ich bin schon Oma. Mein Sohn heißt übrigens Fabio (25).
Wenn man euch auf FaceBook verfolgt stellt man fest, dass ihr sehr gerne reist. Wohin bevorzugt Carmelo?
Wir teilen uns zwei Inseln sozusagen. Sizilien und Sardinien. Anja’s Papa hat ein Appartement auf Sizilien und ich habe ein Haus auf Sardinien und daneben gibt es an jedem dieser Orte unsere Verwandten und Freunde. Manchmal ist es schon ein wenig Tauziehen darum, ob wir zu Anja’s Wurzeln reisen oder zu meinen.
Anja ergänzt: In letzter Zeit liegt der Schwerpunkt auf Sardinien, weil wir das Haus dort umbauen und renovieren. Aber einmal im Jahr muss ich nach Sizilien, weil ich Heimweh zu meiner Familie habe, an der ich sehr hänge.
Das „La Vita“
„La Vita“ steht wofür?
Übersetzt heißt es „Das Leben“ und es ist zugleich eine Hommage an das Restaurant in Köln, wo mir Guerriero das Kochen und das Leben erklärt hat. Ich habe schöne Erinnerungen an diese Zeit in meinem Leben, deshalb war es naheliegend, diesen Namen zu wählen.
Anja ergänzt: Es war uns beiden wichtig, diesem Namen treu zu bleiben, deswegen heißt es auch „La Vita“ im „Werk II.“
Was zeichnet eure Küche aus, Carmelo?
Wir verkörpern zwei Welten. Die italienische und die deutsche Küche – entsprechend unserer Wurzeln. Ich hatte am Anfang große Bedenken, ob das „Werk II“ für uns passend sei, zumindest für mich. Es fühlte sich für mich fremd an. Meine Gedanken kreisten darum, dass ich da eigentlich nicht reinpassen würde, in eine solche Bocholter Institution: Ein altes münsterländisches Haus, mit seiner traditionellen Einrichtung und seiner
tollen Geschichte. Eigentlich hat ein Italiener dort nichts zu suchen, so mein damaliges Denken. Ich sah dort einen deutschen Wirt, mit einer deutschen Küche. Schwer vorstellbar, dass diese Tradition nicht fortgeführt wird. Aber da passierte nichts in dieser Richtung, das „Werk II“ stand fast ein Jahr leer. Es kamen immer mehr Menschen auf uns zu, die uns ermunterten, diese Gastronomie zu übernehmen. Es sei zu schade, wenn diese schönen Räumlichkeiten nicht mit Leben gefüllt werden.
Was gab den Ausschlag für deinen Sinneswandel?
Als bekannt wurde, dass Anja und ich mit diesen Gedanken spielten, wandten sich viele langjährige Stammgäste aus dem „Werk II“ an uns. Sie fragten, was wir dort möglicherweise vorhätten. Das wir dort auch italienische Küche anbieten, war auch für diese Menschen naheliegend. Was ihnen aber am Herzen lag war, dass wir die Räumlichkeiten so lassen, wie sie sind. Sie schilderten uns ihre Erinnerungen an das Werk II – wie sie ihre Frau dort kennengelernt haben, dass sie dort ihre Hochzeit und andere Feste gefeiert haben.
In Anja und mir wuchs die Einsicht, dass diese Menschen ein Anrecht darauf haben, dass ihre Erinnerungen lebendig bleiben und so entschieden wir uns gegen einen geplanten Umbau.
Damit einher entstand die Idee, dort auch deutsche Gerichte anzubieten. Wir verkörpern dort zwei kulinarische Welten …
… quasi eurer beider DNA der Speisekarte?
Richtig. Unsere italienischen Wurzeln, auf die ich stolz bin und die, die Gäste auch schmecken wollen. Und auf der anderen Seite behalten die Menschen, die das Werk II mit deutschen Gerichten kennen- und lieben gelernt haben, ihr kulinarisches Zuhause.

Das war im Anfang möglicherweise etwas gewöhnungsbedürftig für Gäste, die uns nicht kannten. Mittlerweile hat sich diese italienisch-deutsche Mixtur etabliert. Unsere Gäste und wir als Team fühlen uns sehr wohl damit.
Auch meine anfänglichen Bedenken haben sich verflüchtigt. Nach fast 40 Jahren in Deutschland sind auch die typisch deutschen Gerichte ein Teil vor mir geworden.
Was erklären wir den Menschen, die euch noch nicht kennen, was diese deutsche Küche für euch ausmacht? Welche Gerichte bekommen wir bei euch?
Wir bieten typisch westfälische Klassiker wie zum Beispiel das Krüstchen an. Ihr findet bei uns Erbsensuppe, Gulaschsuppe, Königsberger Klopse, Frikadellen, Reibekuchen, Schnitzel auf der Karte. Die Gerichte immer mal wieder wechselnd.
Ich überlege gerade, ob ich bei euch schon mal deutsch gegessen habe …
Du solltest das mal probieren. Fünfzig Prozent unserer Gäste können nicht irren. Es ist in der Tat so, dass die Hälfte unserer Gäste uns wegen der deutschen Gerichte besuchen.
Wenn ihr jemanden außerhalb der Region sagen müsstet, warum er z.B. 50 Kilometer fahren sollte, um bei euch einkehren. Was sagt ihr dem?
Zunächst einmal ist es dieses große, vielseitige Angebot aus den beiden Ländern Italien und Deutschland…
Und wenn es jemand konkreter wissen will? Gibt es Klassiker bei euch, für die ihr besonders gelobt werdet?
Anja: Es gibt viele Gäste die kommen wegen unserer Spagetti Frutti di Mare.
Carmelo ergänzt: Die haben bei uns eine lange Tradition. Das ist das erste Gericht, womit ich unsere Köche angelernt habe. Die ist so einzigartig im Geschmack, dass wir insbesondere von italienischen Landsleuten einen anerkennenden Augenaufschlag ernten, wenn sie unsere Interpretation von „Spagetti Frutti di Mare“ probieren. Sie haben sich zu einem echten Zugpferd entwickelt, auf das wir sehr stolz sind. Wir bekommen zudem sehr schönes Feedback für unsere Schnitzel. Das liegt daran, dass wir diese aus Schweinefilet schneiden und nicht aus Schweinenacken oder anderen Teilen.

Piero, Alessandro & Steffano (Ratet mal wer auf einem Stuhl steht.)
Das Team
Sprechen wir über euer Team…
Sehr gerne. Zunächst die Menschen im Service: Da ist Alessandro, der ist schon seit 2011 bei uns. 2012 ist Piero zu uns gestoßen und Steffano im Jahre 2019.
Piero und Alessandro kennen wir schon lange. Wer ist wer?
Alessandro ist der größere von den beiden, er kommt aus Norditalien. Piero kommt von Sardinien. Es gibt eine schöne Anekdote zu den Beiden, die man aber nicht unbedingt schreiben muss.
Erzähl bitte – dann schauen wir, ob sie berichtenswert ist.
Ein guter, mittlerweile betagter Stammgast, nennen wir ihn Herrn M., hatte sich eines abends von mir verabschiedet. Ich habe ihn gefragt ob alles zu seiner Zufriedenheit gewesen sei. Seine Antwort: „Sie haben zwei Kellner. Beide sind echt top und einer von denen ist sogar intelligent.“ Mit diesem Satz verließ er unser Restaurant. Es blieb die Ungewissheit, wen er denn gemeint haben könnte – Alessandro oder Piero?
Wochenlang haben die beiden darüber gestritten, wer denn wohl der Dumme gewesen sein könnte, weil beide sich um den Stammgast gekümmert hatten.
Eines Tages rief der besagte Gast wieder an, um einen Tisch für Abends zu bestellen. Ich habe das notiert und ihn gebeten, mir abends zu sagen, wer denn der Intelligentere von den beiden sei. Die Spannung stieg. Allen im Team war klar, dass an diesem Abend das Rätsel gelüftet würde. Beim Rausgehen sprach ich Herrn M. auf eine Erklärung an. Seine Antwort: „Ach ja, fast vergessen. Ich sage es dir, der Intelligentere von den Beiden ist der mit der Glatze.“ Dann ist er gegangen.
Auf den Bildern könnte ihr nachvollziehen, dass Herr M. ein sehr kluger, humorvoller Mensch sein muss.
Anja: Das ist schon eine tolle Truppe. Alessandro, der immer ein Liedchen vor sich her singt. Piero, der mal einen Gast damit verblüfft hat, dass er ihm in Kochjacke das Essen serviert hat, um im kurz danach wieder mit Kellnerschürze bekleidet Wein nachzuschenken. Der Mann hat ihm tatsächlich abgenommen, dass bei uns Zwillinge arbeiten würden. Steffano beeindruckt uns mit seiner Ruhe und seiner Weitsicht.




Stehst du noch viel am Herd?
Es wird immer weniger. Zum einen werden wir alle nicht jünger … (schmunzelt er)
… stimmt, es gibt den alten Spruch unter Köchen, dass du es mit spätestens 50 Jahren geschafft haben solltest, von Töpfen und Pfannen wegzukommen.
Genau! Das ist vielfach Knochenarbeit, was Menschen nicht wissen können, wenn sie keinen Einblick in das Treiben in der Küche haben. Zwar juckt es mir immer noch in den Fingern, wenn ich unser Team in der Küche hantieren sehe, aber mein Aufgabenfeld hat sich verändert. Ich bin als Ansprechpartner für Gäste, Gesellschaften, Lieferanten etc. gefordert. Das geht nicht mehr zwischendurch. Das würde mir die Konzentration rauben, die man braucht, wenn man am Herd steht.
Wer agiert an Töpfen und Pfannen?
Das sind Ina, Madhuri und Elena als Köchinnen, sowie die Köche Giorgio und Adam, der hat schon beim Golfclub in meinem Team gearbeitet hat.
Dann gibt es noch die Ladies an der Rezeption des Hotels und bei beiden Zimmermädchen, die unser Team komplett machen.
Gastronomie im Umbruch
Carmelo, du hast anklingen lassen, dass die Gastronomie sich im Umbruch befinden würde. Was hat sich verändert?
Wir spüren, dass die Unbeschwertheit nicht mehr da zu sein scheint. Früher gab es Momente, wo Gäste nach dem Marktbesuch auf einen Kaffee bei uns eingekehrt sind und eh wir uns versahen war es 21.00 Uhr. Die Markteinkäufe wurden zwischenzeitlich bei uns im Kühlschrank eingelagert, während man sich spontan dem Leben hingab. Wo man bei Wein und Speisen die Zeit vergaß. Diese Lockerheit, diese Spontanität ist nicht mehr häufig anzutreffen. Ich finde das schade. Für mich ist ein solcher Besuch bei uns immer mit Runterkommen und Abschalten verbunden.
Vielleicht müssen wir das wieder lernen, nach diesen zwei bizarren Jahren?
Das stimmt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Preise für den Wareneinkauf dramatisch gestiegen sind. Diese Entwicklung macht uns das Leben gerade sehr schwer.
Früher habe ich beispielsweise spontan fünfzig Hummer gekauft, wenn Qualität und Preis stimmten. Die waren innerhalb von 2-3 Tagen abverkauft. Diese besonderen Produkte, die etwas teurer, etwas spezieller, die etwas anders sind, sind nicht mehr so einfach zu platzieren, wie vor der Pandemie.
Glaubt ihr, dass dies noch mal wieder kehren wird?
Ja, aber wir werden den Gästen und uns Zeit dafür geben.
Es muss ja auch erst einmal das Bewusstsein dafür wachsen, dass Preiserhöhungen nicht dem Größenwahn der Gastronomen geschuldet sind, sondern notwendige Anpassungen aufgrund des Preisanstiegs beim Wareneinkauf.
Korrekt. Es kostet uns viel Zeit, Einkäufe und Angebote so abzustimmen, dass unsere Gäste nicht irritiert werden.
Das Hotel „Werk II“
Anja, magst du etwas zu eurem Hotelbetrieb im Werk II erzählen?
Wir haben elf Zimmer. Davon sechs Einzelzimmer und fünf Doppelzimmer. Das Hotel ist jeden Tag buchbar. In der Woche habe wir viele Geschäftsreisende und Handwerker und am Wochenende eher Touristen, Menschen, die mit dem Rad unterwegs sind.
Carmelo: Wir liegen im Herzen von Bocholt. Keine 150m vom historischen Rathaus entfernt. Ein kleines Stadthotel mit einer großen Geschichte. Wir haben angefangen, mit alten Fotos diese Institution erlebbar zu machen, dieses Stück Bocholter Geschichte zu kultivieren. Es ist schön zu sehen, wie bei vielen Menschen verblasste Erinnerungen wieder lebendig werden.
Warum heißt es eigentlich „Werk II“?
Von unseren alten Stammgästen wissen wir, dass die Firma Flender ein Werk II auf der Münsterstraße hatte. Ein Betriebsteil, was so genannt wurde.
Einige Mitarbeiter kehrten nachmittags wohl mal auf ein Bierchen hier am Gasthausplatz ein. Wenn jemand nachfragte, hieß es: „die sind im Werk II.“ So glaubten alle, inklusive der Frauen dieser Schlitzohren, sie würden in der Außenstelle fleißig arbeiten – während sie hier am Tresen standen. Damit wurde der Name zum Programm.
Einer unserer Lieblingsplätze bei euch sind die beiden Hochtische links in der Ecke, wenn man reinkommt …
… von dort hat man den besten Überblick ins Restaurant.
Das stimmt, aber was ich fragen wollte: Woher stammen die geschnitzten Köpfe an der Wand, in dem Bereich?
Die stammen von dem Bocholter Künstler Manes Schlatt. Die waren früher Bestandteil der alten Theke.
Kirsten: Es könnte sein, dass es noch altes Fotos dazu gibt, die ihr noch nicht habt. Ich kümmere mich und frage meinen Freund Mike, dessen Mutter Eva hier viele Jahre die Wirtin war.
Das wäre toll. Vielleicht gibt es ja noch andere, die dazu beitragen können, die Geschichte des „Werk II“ weiter zu kultivieren?



Gastronomie im Umbruch
Carmelo, du hast anklingen lassen, dass die Gastronomie sich im Umbruch befinden würde. Was hat sich verändert?
Wir spüren, dass die Unbeschwertheit nicht mehr da zu sein scheint. Früher gab es Momente, wo Gäste nach dem Marktbesuch auf einen Kaffee bei uns eingekehrt sind und eh wir uns versahen war es 21.00 Uhr. Die Markteinkäufe wurden zwischenzeitlich bei uns im Kühlschrank eingelagert, während man sich spontan dem Leben hingab. Wo man bei Wein und Speisen die Zeit vergaß. Diese Lockerheit, diese Spontanität ist nicht mehr häufig anzutreffen. Ich finde das schade. Für mich ist ein solcher Besuch bei uns immer mit Runterkommen und Abschalten verbunden.
Vielleicht müssen wir das wieder lernen, nach diesen zwei bizarren Jahren?
Das stimmt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Preise für den Wareneinkauf dramatisch gestiegen sind. Diese Entwicklung macht uns das Leben gerade sehr schwer.
Früher habe ich beispielsweise spontan fünfzig Hummer gekauft, wenn Qualität und Preis stimmten. Die waren innerhalb von 2-3 Tagen abverkauft. Diese besonderen Produkte, die etwas teurer, etwas spezieller, die etwas anders sind, sind nicht mehr so einfach zu platzieren, wie vor der Pandemie.
Glaubt ihr, dass dies noch mal wieder kehren wird?
Ja, aber wir werden den Gästen und uns Zeit dafür geben.
Es muss ja auch erst einmal das Bewusstsein dafür wachsen, dass Preiserhöhungen nicht dem Größenwahn der Gastronomen geschuldet sind, sondern notwendige Anpassungen aufgrund des Preisanstiegs beim Wareneinkauf.
Korrekt. Es kostet uns viel Zeit, Einkäufe und Angebote so abzustimmen, dass unsere Gäste nicht irritiert werden.


Das Hotel „Werk II“
Anja, magst du etwas zu eurem Hotelbetrieb im Werk II erzählen?
Wir haben elf Zimmer. Davon sechs Einzelzimmer und fünf Doppelzimmer. Das Hotel ist jeden Tag buchbar. In der Woche habe wir viele Geschäftsreisende und Handwerker und am Wochenende eher Touristen, Menschen, die mit dem Rad unterwegs sind.
Carmelo: Wir liegen im Herzen von Bocholt. Keine 150m vom historischen Rathaus entfernt. Ein kleines Stadthotel mit einer großen Geschichte. Wir haben angefangen, mit alten Fotos diese Institution erlebbar zu machen, dieses Stück Bocholter Geschichte zu kultivieren. Es ist schön zu sehen, wie bei vielen Menschen verblasste Erinnerungen wieder lebendig werden.
Warum heißt es eigentlich „Werk II“?
Von unseren alten Stammgästen wissen wir, dass die Firma Flender ein Werk II auf der Münsterstraße hatte. Ein Betriebsteil, was so genannt wurde.
Einige Mitarbeiter kehrten nachmittags wohl mal auf ein Bierchen hier am Gasthausplatz ein. Wenn jemand nachfragte, hieß es: „die sind im Werk II.“ So glaubten alle, inklusive der Frauen dieser Schlitzohren, sie würden in der Außenstelle fleißig arbeiten – während sie hier am Tresen standen. Damit wurde der Name zum Programm.
Einer unserer Lieblingsplätze bei euch sind die beiden Hochtische links in der Ecke, wenn man reinkommt …
… von dort hat man den besten Überblick ins Restaurant.
Das stimmt, aber was ich fragen wollte: Woher stammen die geschnitzten Köpfe an der Wand, in dem Bereich?
Die stammen von dem Bocholter Künstler Manes Schlatt. Die waren früher Bestandteil der alten Theke.
Kirsten: Es könnte sein, dass es noch altes Fotos dazu gibt, die ihr noch nicht habt. Ich kümmere mich und frage meinen Freund Mike, dessen Mutter Eva hier viele Jahre die Wirtin war.
Das wäre toll. Vielleicht gibt es ja noch andere, die dazu beitragen können, die Geschichte des „Werk II“ weiter zu kultivieren?

The End
Letzte Frage: Muss noch irgendetwas raus?
Wir fanden es toll von der Stadt Bocholt, dass der Gasthausplatz schon ab Mitte April für’s Parken gesperrt war. Die Stadtverwaltung hat auf Parkgebühren verzichtet, um uns Gastronomen die Nutzung unserer Terrassen zu ermöglichen. Jetzt war das Wetter leider nicht ganz passend, so dass wir wenig davon gehabt haben. Aber wir fühlten uns Ernst genommen und wertgeschätzt. Ein wichtiges Signal, angesichts der schwierigen Phase, die wir hinter uns gebracht haben.


Donnerstag, 22.04.2022, 13.30 Uhr
„La Vita“ im „Werk II“ Gasthausplatz II in Bocholt
Während Kirsten mit ihrer Nikon eine Auswahl aus der italienisch-deutschen Speisekarte einfängt, stoßen wir Anja, Carmelo und ich auf das „La Vita“ / „Das Leben“ an. Carmelo teilt die Story, wo er vor einigen Jahren einen sehr suboptimalen Tag mit einen exorbitant guten Rotwein runterspülen wollte. Ein Tignanello aus dem Jahrgang 2007 sollte es sein, der die trüben Gedanken aufhellen sollte. Beim Zuschließen des Restaurants gab die Flasche der Erdanziehung nach und zerschellte auf dem Boden. Momente, wo man auch als Weinliebhaber standhaft bleiben muss, um die Zunge splitterfrei zu halten. Möge dieses Schicksal dem 2006er Ornellaia erspart bleiben, den Carmelo mir anschließend zeigte. Apropos zeigen … nach einem großformatigen Bild vom historischen Rathaus (aus dem Fundus von Michael Deutz), gingen wir ins ehemalige „Blumenzimmer“ des „Werk II“. Einem Raum in einer Nische, mit einer Mischung aus alten Familienfotos und italienischen Legenden. Impressionen, die schon das damalige „La Vita“ auf der Osterstraße geziert haben. Auf der rechten Seite ein irres Bild von der jungen Sophia Loren – der „normal-gebliebenen“ Diva, wie Carmelo sie beschrieb, um dann den Blick auf sein allererstes Foto zu lenken. Ein Foto von seinen Eltern, geschossen aus der Perspektive eines damals Fünfjährigen – sprich von unten nach oben.
Wenn ihr das Bild in diesem eher versteckten Teil des „La Vita“ erspäht, werdet ihr nachvollziehen können, warum Carmelo Koch und nicht Fotograf geworden ist. Das Bild dokumentiert viel Luft nach oben. Ganz anders die Speisen, die nach Kirstens Shooting zu uns auf den Tisch wanderten. Die haben allesamt extrem gut geschmecket mit zwei „e“, wie Hermann, der Vater der Herausgeberin und ebenfalls Stammgast im Werk II, zu sagen pflegt.

WERK II
Gasthausplatz 2, 46397 Bocholt
Restaurant: +49 2871 185 233
Hotel: +49 2871 354 110
info@hotel-werk2.de
www.hotel-werk2.de