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Das neue Ehegattennotvertretungsrecht

Jan 30, 2023 | Law & Lipstick

Text: Christina Herbrand, LL.M.

Was ist neu?
Im Notfall durften sich Ehegatten bislang nicht ohne entsprechende Vollmacht vertreten. Im Falle eines plötzlichen Unfalls oder einer schweren Erkrankung konnte der eine Ehegatte bislang nur bei Vorliegen einer Vorsorgevollmacht Entscheidungen für den anderen Ehegatten treffen. Zum 1. Januar 2023 ist eine Reform des Betreuungsrechts in Kraft getreten und mit ihr ein automatisches gesetzliches Notvertretungsrecht für Ehegatten.

 Warum wurde das Notvertretungsrecht für Ehegatten geschaffen? 
Fehlte es bislang in einer Notsituation, wie im Falle eines plötzlichen Unfalls oder einer schweren Erkrankung, an einer Vorsorgevollmacht, so musste für bestimmte Entscheidungen ein Betreuer bestellt werden. Das Ehegattennotvertretungsrecht soll die Anordnung einer vorläufigen Betreuung vermeiden. Zeitlich soll das Notvertretungsrecht den Zeitraum im Anschluss an eine Akutversorgung abdecken. Nicht gedacht ist das Notvertretungsrecht für eine länger andauernde oder chronische Erkrankung des Ehegatten.

Gibt es eine zeitliche Beschränkung für das Ehegattennotvertretungsrecht?
Das Ehegattennotvertretungsrecht ist auf einen Zeitraum von sechs Monaten befristet. Die Frist beginnt mit der Notlage des Ehegatten, die gekennzeichnet ist durch Bewusstlosigkeit oder eine plötzlich eintretende schwere Krankheit. Häufig ist Fristbeginn die Aufnahme im Krankenhaus. Der Arzt/Die Ärztin hält diesen Zeitpunkt schriftlich fest, da das Notvertretungsrecht ihm/ihr gegenüber ausgeübt wird. Das Ehegattennotvertretungsrecht endet, sobald der erkrankte Ehegatte wieder die Angelegenheiten der Gesundheitssorge selbst rechtlich wahrnehmen kann, und zwar auch schon vor Ablauf dieser Frist. Sobald der erkrankte Ehegatte also wieder einwilligungs- und handlungsfähig ist, endet das Ehegattennotvertretungsrecht. Sollte der erkrankte Ehegatte auch nach Ablauf der Frist noch nicht selbst entscheiden können, kommt eine Einschaltung des Betreuungsgerichts in Betracht. Eine Verlängerung des Notvertretungsrechts über die Sechsmonatsfrist hinaus ist nicht möglich. 

Was sind die Voraussetzungen des Ehegattennotvertretungsrechts?
Das Ehegattennotvertretungsrecht findet Anwendung, wenn drei Voraussetzungen vorliegen: Erstens muss es sich bei dem Betroffenen um einen Ehegatten handeln. Für Unverheiratete, also für Lebensgefährten, gilt das Notvertretungsrecht nicht. Zweitens muss eine Notsituation vorliegen. Das Gesetz spricht von ‚Bewusstlosigkeit oder Krankheit‘. Drittens muss der von der Notsituation betroffene Ehegatte seine Angelegenheiten der Gesundheitssorge rechtlich nicht besorgen können. Das bedeutet, dass der betroffene Ehegatte in der Notsituation außerstande sein muss, selbst Entscheidungen der Gesundheitssorge treffen zu können. Dies könnte beispielsweise der Fall sein, wenn ein Ehegatte nach einem schweren Verkehrsunfall im Koma liegt. Nur wenn diese drei Voraussetzungen kumulativ vorliegen, besteht dem Grunde nach ein Notvertretungsrecht. Nur dann kann der andere Ehegatte den betroffenen Ehegatten vertreten. 

Welche Entscheidungen genau dürften mit dem Notvertretungsrecht getroffen werden?
Das Notvertretungsrecht berechtigt nicht zu einer generellen Vertretung in allen Angelegenheiten. Das Notvertretungsrecht ist auf bestimmte Entscheidungen im Bereich der Gesundheitssorge beschränkt. Die Fälle der Notvertretung sind im Gesetz abschließend geregelt. Der vertretende Ehegatte darf für den erkrankten Ehegatten • in Untersuchungen des Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligen oder sie untersagen, • ärztliche Aufklärungen über medizinische Maßnahmen entgegennehmen, • Krankenunterlagen einsehen; Ärzte sind diesbezüglich von der Schweigepflicht entbunden, • Behandlungsverträge, Krankenhausverträge oder Verträge über eilige Rehabilitations- oder Pflegemaßnahmen abschließen und Rechte aus diesen Verträgen durchsetzen, • Ansprüche, die dem erkrankten Ehegatten wegen der Erkrankung gegenüber Dritten (beispielsweise Versicherungen) zustehen, geltend machen und • über freiheitsentziehende Maßnahmen entscheiden (zum Beispiel Gurte, Bettgitter, Fixierungen), wobei für die Entscheidung über freiheitsentziehende Maßnahmen zusätzlich die Genehmigung des Betreuungsgerichts erforderlich ist. Entscheidungen über eine freiheitsentziehende Unterbringung des Erkrankten sind durch das Ehegattennotvertretungsrecht nicht möglich. 

Gibt es Situationen, in denen das Notvertretungsrecht nicht gilt?
Das Gesetz sieht Ausschlussgründe vor, bei deren Vorliegen das Ehegattennotvertretungsrecht nicht besteht. Eine Vertretung ist ausgeschlossen, • wenn die Ehegatten voneinander getrennt leben, • wenn der erkrankte Ehegatte die Vertretung durch den anderen Ehegatten ablehnt, • wenn eine dritte Person mit der  Vertretung bevollmächtigt ist,  beispielsweise durch eine  Vorsorgevollmacht oder • wenn der erkrankte Ehegatte unter rechtlicher Betreuung steht.

Ärzte haben was diese Ausschlussgründe anbetrifft keine Nachforschungspflicht. Der Arzt/Die Ärztin, demgegenüber/dergegenüber das Notvertretungsrecht ausgeübt wird, hat sich von dem vertretenden Ehegatten schriftlich versichern zu lassen, dass kein Ausschlussgrund vorliegt. 

Was kann man tun, wenn eine gesetzliche Notvertretung durch den Ehegatten nicht gewünscht ist?
Wer keine gesetzliche Notvertretung durch den Ehegatten wünscht, kann eine Vorsorgevollmacht aufsetzen und/oder einen Widerspruch in das sogenannte Zentrale Vorsorgeregister aufnehmen. Das Zentrale Vorsorgeregister informiert Betreuungsgerichte und Ärzte/Ärztinnen über das Vorhandensein von Vorsorgeregelungen. Im Zentralen Vorsorgeregister können u.a. Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen registriert werden. Nunmehr können im Zentralen Vorsorgeregister auch Widersprüche gegen eine gesetzliche Notvertretung durch den Ehegatten eingetragen werden. Die Registrierung eines solchen Widerspruchs kann über einen Notar/eine Notarin erfolgen.

Was kann man tun, wenn man den erkrankten Ehegatten nicht vertreten möchte?
Das neue Ehegattennotvertretungsrecht verpflichtet nicht zur Vertretung. Wenn der eine Ehegatte den anderen Ehegatten nicht vertreten möchte und Entscheidungen betreffend die Gesundheitssorge getroffen werden müssen, kann nach wie vor die Bestellung eines rechtlichen Betreuers beim Betreuungsgericht beantragt werden. 

Sind Vorsorgevollmachten nun überflüssig?
Das gesetzliche Notvertretungsrecht ist auf bestimmte Fälle der Gesundheitssorge beschränkt und kann eine Vorsorgevollmacht nicht ersetzen. Vorsorgevollmachten sind Generalvollmachten und berechtigen den Bevollmächtigten umfassend zur Vertretung. So können Ehegatten vom Notvertretungsrecht nicht umfasste Vertretung in Vermögensangelegenheiten, wie die Vertretung bei der Veräußerung oder dem Erwerb einer Immobilie, mit einer Vorsorgevollmacht regeln. Auch von der Notvertretung nicht umfasste persönliche Belange, wie zum Beispiel Fragen zur Unterbringung, sind grundsätzlich von einer Vorsorgevollmacht umfasst. Wie bereits aufgezeigt, kann eine Vorsorgevollmacht auch dazu genutzt werden, durch die Bevollmächtigung eines Dritten den Ehegatten vom Notvertretungsrecht auszuschließen. Für Unverheiratete, die kein Notvertretungsrecht haben, bieten Vorsorgevollmachten die Möglichkeit der gegenseitigen Vertretung im Notfall. Unverheiratete können in Vorsorgevollmachten auch Ärzte/Ärztinnen von der Schweigepflicht gegenüber Lebensgefährten befreien.

Christina Herbrand ist Rechtsanwältin und Notarin in Bocholt und Inhaberin der KANZLEI HERBRAND. Über die MÜ12
Verlag GmbH erscheint ihre Kolumne Law & Lipstick. Hier schreibt sie regelmäßig über aktuelle wirtschaftsrechtliche Themen.

Christina Herbrand, LL.M. (Stellenbosch)

Rechtsanwältin und Notarin
Fachanwältin für Handels- und Gesellschaftsrecht

Hemdener Weg 25, 46399 Bocholt 
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