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Der Schmöker-Affe

von | Mai 10, 2022 | Coverstory

Text: Roland Buß  ̵ Bild: Jens Wiegrink

Samstag, 12. Februar 2022,
am Morgen, in der Innenstadt von Bocholt
 

Nur noch zwei Tage bis zum Internationaler Verschenk-ein-Buch-Tag, am kommenden Montag, dem 14. Februar. 

Ein herzliches Merci an Sven Giese, der seine Sammlung kurioser Feiertage bereitwillig mit Menschen teilt, denen die gesetzlich vorgeschriebenen Anlässe nicht genügen – die ein Faible für die kleinen, schrägen, feierfähigen Momente im Leben haben.

www.kuriose-feiertage.de

Zurück zum besagten Tag. Welches Buch verschenke ich und an wen? Tage zuvor war ich einem FaceBook-Posting in der Gruppe „Französische Küche und Lebensart“ erlegen, wo eine Lady das Kochbuch „Le Grand Bordel“ (übersetzt: Das große Durcheinander) über den grünen Klee lobte. Ihre Begeisterung war derart ansteckend, dass ich keine Sekunde zögerte, den Bestellvorgang beim „Familienunternehmen“ von Jeff Bezos auszulösen. 

Am nächsten Tag klingelte mich ein anonymer Paketbote vom Herd weg. Es war nicht der Weg ins Erdgeschoss, der die aufgesetzte Pasta deutlich über al dente garen ließ, es waren meine entjungfernden Blicke in dieses bestellte Kochbuch. Unmöglich die Existenz eines solch sinnlichen Kochbuchs nur für sich zu behalten. Damit werde ich einen sehr
geschätzten, genuss-sensiblen Freund beschenken und zwar mit ANSTAND! – so mein Entschluss. Also, kein hastig bequemer Bestellvorgang von der Couch aus. Sondern der, des würdigen Besuches einer Bocholter Buchhandlung, sollte mich in den Besitz eines zweitens Exemplars bringen.Auf dem Weg durch die Innenstadt, zur Buchhandlung meines Vertrauens, nahm ich ein Plakat in einem unserer derzeit rund vierzig Leerständen war:

„Hier eröffnet in Kürze ….“ 

Bevor ihr jetzt weiter lest, liebe Leserinnen und Leser, haltet kurz inne, um zu raten.

Na, was tippt ihr? Wir können schon mal auflösen, was es nicht ist: Es wird zumindest kein Buchhändler gewesen sein, der dieses Plakat in sein zukünftiges Schaufenster geklebt hatte. Auf jeden Fall kam ich ins Grübeln – aber dazu später mehr. 

Beim Betreten der „Buchhandlung meines Vertrauens“ meldete sich mein Gewissen und beklagte leichte Bisswunden. Wieso bin ich schon so lange nicht mehr hier gewesen? Eigentlich ein schöner, inspirierender, vornehmlich leiser Ort. Wieso habe ich den gegen die omnipräsent-opulente Flaniermeile bei Amazon eingetauscht? Zeitmangel, Liefergeschwindigkeit, Kundenbewertungen waren die ersten Gedanken, die mein Gewissen anführte, um das Motiv Bequemlichkeit zu überspielen. 

Spontan schoß mir ein Spruch von Hagen Rether durch’s Hirn, dessen Hörbuch „Liebe 6“, mir Schmunzelsalven entlockte, während längerer Autofahrten. Bei dem Besuch seiner Lieblingsbuchhandlung in Essen hatte er an der Tür des Kunden-WC’s folgenden Spruch ausfindig gemacht: 

Dies ist die Kundentoilette der Buchhandlung. Amazonkunden gehen bitte bei Amazon aufs Klo.

Da ist was Wahres dran, hoffentlich setzt kein Harndrang bei mir ein dachte ich, während ich direkt den Info-Point ansteuerte. Ich hatte nicht erwartet, das ins Auge gefasste Buch hier im Regal zu finden. Die freundliche Auskunft: „Darf ich ihnen das Buch bestellen, es müsste am Montag bei uns eintreffen?“, quittierte ich mit einem Ja. Getragen von der Gewissheit „Le Grande Bordel“  feiertags-frist-gemäß am besagten „Verschenk-ein-Buch-Tag“  meinem Freund überreichen zu können. „Möchten sie via Mail unterrichtet werden, wenn das Buch eingetroffen ist?“ „Sehr gerne“ – vielleicht sogar besser, als das ein gehetzter Auslieferungsfahrer das Exemplar beim Nachbarn hinterlegt, an eine Abholstation liefert oder verbummelt? 

Bei einer anschließenden Tasse Cappuccino in einem der Bocholter Café’s wollte ich mein wahrgenommenes Bauchgefühl einem Fakten-Check unterziehen. 

Handy raus und Google mit folgender Suchkombi gefüttert „Frisöre + Bocholt.“ 

Bei 68 gescrollten Ergebnissen habe ich aufgehört zu zählen. Eine stattliche Zahl. Beeindruckend auch die Bandbreite der
angezeigten Ergebnisse. Von alt eingesessenen Unternehmen, die ich schon von Kind auf an kenne, bis zu ganz jungen Betrieben. 

Nächster Check: „Buchhandlungen +
Bocholt.“ Eher nüchtern – hier war kein Scrollen notwendig. Zwei Buchhandlungen und zwei Antiquariate waren das Ergebnis der damaligen Recherchen.
68 : 2 … wenn das „Hier eröffnet in Kürze …“ Realität wird, steht es 69 : 2. 

Denn das war die Ankündigung, auf dem von mir wahrgenommenen Plakat, wonach ein weiterer Vertreter der haar-kultivierenden Zunft diesen Leerstand mit Leben füllt. Zyniker könnten jetzt die These in den Raum stellen, dass sich die ocholter mehr um das kümmern, was sich auf ihren Köppen  abspielt, als das zwischen ihren Ohren.

Realitätsnäher scheint: Haarschneiden geht nicht online – zumindest noch nicht. Darüber hinaus scheinen die Nebenwirkungen der Digitalisierung (Hörbücher, Podcasts, Kindle & Co.) die Präsens-Buchläden aus unseren Innenstädten zu radieren.

An alle Friseurinnen, Friseusen, Friseure, Haar-Stylistinnen und -Stylisten, liebe Kapadoykarinnen und Kapadoykas … ihr merkt, ich bewege mich auf unsicherem Terrain, was euer Berufsbild angeht. Ich habe Null-Ahnung, wieviel Salons es braucht, um die rund 71.000 Bocholter Köppe zu pflegen. Aber es werden wohl so viele nötig sein – sonst wären es ja
weniger. Wir möchten an dieser Stelle einmal DANKE sagen, für die Dienstleistung, die ihr erbringt und RESPEKT, wie ihr das unter den schwierigen Bedingungen der letzten zwei Jahre vollbracht habt. SORRY dafür, dass wir euer Geschäftsmodell als Beispiel angeführt haben, um den leisen Tod der Buchläden greifbar zu machen. Aber genauso war die Story, nebst hinterliegenden Gedanken.

Zurück zu den Buchläden. Wollen wir deren schleichenden Tod hinnehmen? „Aber es ist doch so herrlich bequem“, säuselt mir mein innerer Schweinehund in meine Gedanken. Recht hat er. Aber, was er nicht berücksichtigt, ist wie schön die Bocholter Innenstadt ist. Wie herrlich bequem die Bocholter Café’s, Kneipen und Restaurants sind, die man aufsuchen kann, wann man ein Buch „anständig“ in einem der verbliebenen Buchläden gekauft hat.

Ich schließe nicht aus, dass uns auch in der Zukunft Pakete in braunen Umverpackungen mit dem „A“ am Anfang erreichen. Aber … ein großes ABER … ich werde vor einem hastigen Buch-will-haben-Klick eine kurze gedankliche Pause einlegen. Zeit, um mich an diese eigenen Zeilen zu erinnern. Zeit, um Bequemlichkeit gegen Anstand einzutauschen? Gedanken, ob es nicht eine schöne Unterbrechung sein kann, dieses Einkaufserlebnis analog zu genießen. Übrigens im Einklang mit den vielen Menschen, die ich in dem Buchladen wahrgenommen habe, als ich am 14.02.2022 „Le Grand Bordel“ dort aufholte.

Denk-Dilemma

Kennt ihr den Moment, wo „Engelchen“ und „Teufelchen,“ streitend auf beiden Seiten der Schulter sitzend, die Vorherrschaft über unser Handeln erringen wollen?

Das „Teufelchen“ in unserem PAN-Denken hatte vor ein paar Monaten einen Amazon-Partner-Link anlegen lassen. Wirtschaftliche Überlegungen könnten dafür sprechen, sich Buch- und sonstige an euch adressierte Empfehlungen über ein solches Affiliate-Programm ein wenig rückvergüten zu lassen.

Wir haben während der letzten beiden Jahre unseren Verlag nebst seinen Magazinprojekten digitalisiert. Möglicherweise wäre es digital-konsequent und serviceorientiert, diese Empfehlungen „klickbar“ zu machen. Doch momentan fühlen wir uns besser dabei, auf unser „Engelchen“ zu hören und euch den Gang in unsere Buchhandlungen, Café’s, Kneipen, schmackhaft zu machen. Was spricht eigentlich dagegen, mit einem Buch unterm Arm, meinen nächsten Frisörbesuch anzutreten?

Zum Schmöker-Affen

Es scheinen vornehmlich tierische Wesen zu sein, denen die Eigenschaft des Lesens zugerechnet werden – so die Leseratte oder der Bücherwurm. Sollte einer dieser Spezies als Galionsfigur diese Rubrik LesensWertes begleiten?

Es war ein Cappuccino-Plausch mit unserem Partner-Fotografen Jens Wiegrink, der uns neu denken lies. Jens, der Spezialist für Blaue-Stunde- und Nacht-Photographie, hat die besagte C-Zeit genutzt, um sich in das Thema Composings zu knien.

Wiki sagt dazu:
Ein Composing ist ein Bildmotiv, das aus verschiedenen Bildern oder Bildteilen zusammengesetzt ist. Es gibt verschiedene Arten von Composings, wie zum Beispiel eine gewollt im Bild erzeugte Surrealität, oder Fotomanipulationen, die von einem echten Foto nur schwer zu unterscheiden sind.

Ein von Jens entworfener Weihnachtsaffe regte unsere Phantasie an. „Kannst die diese Komposition auf unsere Heimatstadt branden? Irgendwie sollte das aktuell zu besprechende Buch einfließen. Natürlich
gehört zum entspannten Lesen auch ein passender Rotwein – bestenfalls mit Bezug zu einer der weiteren Stories im Magazin.“

Der vorgedachte Entwurf wuchs in unseren Köpfen. „Wie passend ein SchimPANse“ frohlockte Herausgeberin Kirsten. Jens und mich irritierte die Buchstabennähe zum Verb „Schimpfen.“ Wir wollten mehr den gemütlichen, lesenden, nachdenklichen Affen.

Das war die Geburtsstunde des Schmöker-Affen. Unter dieser Rubrik werden wir mit euch im nächsten PAN das „Le Grande Bordel“ besprechen – inkl. der daraus erwachsenen Projektidee für 2023. Wir werden euch dann auch unter den WeinHeiten reinen Wein zur Story des Bad Boy-Rotwein und dessen Macher einschenken.

Merci an Jens,
für’s Einfangen und Composen unserer Cappuccino-Gedanken