Die kulinarische Huldigung eines ehemaligen Arme-Leute-Essens
Westerland / Sylt, Dezember 2022
Wir genießen ein paar Tage zum Ritual gewordene Klausurzeit auf der Insel Sylt. Zeit, wo wir den Wind der Nordsee den Staub aus unseren Oberstübchen
blasen lassen und uns für das bevorstehende Jahr committen – unsere „Leuchtturm-Tage.“
Unsere Fellnase / Agenturhündin Paula trägt voller Stolz ein Stück Treibholz vom Strand in die fußläufige Friedrichstraße. Größe und Form lassen beim neunzehn-Uhr-dreißig Mondschein den Verdacht aufkommen, dass es sich bei dem Relikt um das Bein eines alte Piraten-Kapitäns handeln könnte.
Kurz vor der Institution „Jever Stube“ bitten wir Paula, ihren Finderstolz und das besagte „Bein“ abzulegen.
Ein Bierchen, draußen am Stehtisch für uns, ein Napf Wasser für die bailey-farbene Melange aus Labrador und Retriever. Paula flirtet wie immer mit dem Personal. Schürzentragende Menschen implizieren für sie immer ein Plätzchen vom Cappuccino-Gedeck, ein Stückchen Baguette oder gar ein wenig Schinken. Am liebsten mit der Berkel geschnitten. (Nicht wahr, Mario und Pippo, von der Osteria No.5 in
Bocholt, die um Paulas Gunst wetteifern.)
Es gibt nicht viele, die ihren Anwerbeversuchen ernsthaft standhalten können oder wollen. So auch an diesem Abend. Während sie auf ein paar Leckerlies kaut, kauen wir auf unseren Erinnerungen an unseren Labskausabend in der Kneipe in unserem Rücken. Einem der für uns friesisch’sten Lokale der Insel.
Wir sind uns nicht mehr sicher, ob es hier war oder Ende 2017 im Restaurant „Zum glücklichen Matthias“ in Wyk auf Föhr, als uns dieses Gericht in seinen Bann zog. Ideal nach einem Strandspaziergang bei „Schietwetter“, oder als Katergericht. Ihr kennt das, wenn einem nach einem feuchtfröhlichen Abend die Sehnsucht nach etwas Herzhaftem überkommt, oder? Ansonsten auch „einfach mal so“, weil einem danach ist – nach diesem alten Seemannsgericht.


Wer hat’s erfunden – das Labskaus?
Mal wieder nicht die Schweizer. Die können vornehmlich Kräuterbonbons und Emmentaler.
Aber auch nicht die Hamburger, die dürften sich auch nicht mit diesen fremden Lorbeeren schmücken. Apropos Lorbeer, der gehört auf jeden Fall an die Kartoffeln.
Labskaus führte die Rangliste der zwanzig Norddeutschen Gerichte an, die man in seinem Leben mal probiert haben sollte, wie wir alle wissen oder hier zu lesen steht:
Es ist mir schon mal leichter gefallen, die Engländer für etwas zu rühmen. Deren Brexit hat sich bei mir zum Brainxit entwickelt. Meine Sympathie zu diesem Inselvolk hat Schaden genommen. Da lob ich mir die Inselaner hier auf Sylt. 🙂
Zurück zum Kulinarischen, obwohl man dabei äußerst selten in Großbritannien landen würde. Seht ihr, ich kann gar nichts dafür, dass ist mein Unterbewusstsein, welches mich diese Zeilen schreiben lässt.
Neuer Anlauf und zurück zum Kulinarischen Part II. Das Labskaus scheint tatsächlich auf die Kappe der Engländer zu gehen, genauer gesagt auf die Seefahrer-Kappe. 1706 soll es gewesen sein, dass der englische Autor Ned Ward dieses Gericht zum ersten Mal erwähnte.
Früher, als man noch mit Segelschiffen auf große Fahrt ging, gab es an Bord keine Möglichkeit, Lebensmittel lange frisch zu halten. Also musste der Smutje (Koch) auf lange haltbare Lebensmittel wie Pökelfleisch zurückgreifen. Es gehörte sogar zur vorgeschriebenen Ration der Matrosen. Da diese wegen ihrer, vom Skorbut geschädigten Zähne, oft keine feste Nahrung zu sich nehmen konnten, wurden Kartoffeln und Pökelfleisch püriert und Vitamin-C-haltige Rote Bete und Gurken untergemengt.
Solange es die Kombüse (Küche) noch hergab, gab es Matjes (eingelegten Hering) und Spiegelei dazu.
Auch unter heutigen Gesichtspunkten ein sehr gesundes Essen, welches von Ökotrophologen wie folgt interpretiert werden könnte: „Labskaus hat eine hohe biologische Wertigkeit, von den Proteinen her aufgrund der Kombination von Kartoffeln und Ei. Die dazu gereichte Rote Bete enthält viel Eisen und Folsäure und wirkt entzündungshemmend.“
Was bedeutet Labskaus?
Ich bin kein Sprachhistoriker, drum habe ich Google bemüht. Dort steht zu lesen: Vermutlich englischen Ursprungs – von lobscouse entlehnt, wurde es möglicherweise über lout‘s course vom dialektalen lob‘s course mit der Bedeutung „Speise für Flegel“ entwickelt.
Eine Interpretation, die wiederum mit meinem Denken kompatibel ist. Unbestätigten Gerüchten zu Folge, soll es sich beim Labskaus um das Lieblingsgericht von Boris Johnson handeln.
Unsere Interpretation des Labskaus
- Am Stehtisch vor den Jever-Stuben beschlossen, am heimischen Herd umgesetzt.
- An den Originalzutaten wird nicht gerüttelt:
- mehlig kochende Kartoffeln
- (Lorbeerblätter, Gewürznelken,
- Salz, Pfeffer)
- Corned Beef
- Rote Bete (aus dem Glas)
- Zwiebeln
- Gewürzgurken
- Eier zum Spiegeln
- Butter
- Matjes
Einkaufs-) Quellenangaben:
Matjesfiltes von Friesenkrone. Die bekommt ihr im Handelshof. Wie ihr unseren Bildern entnehmen könnt, haben wir auch noch Brathering angelegt. Ebenfalls von der Firma mit dem Krönchen auf dem Fisch. Ihr könnt auch Rollmöpse wählen oder anderes Fischgedöns. Leider werden wir für dieses Produkt-Placement nicht unterstützt, gesponsert oder whatever. Von daher wertet dies bitte als grundehrliche Empfehlung. Impression gefällig?
Friesenkrone – Hering mal anders
Eier und die auf jeden Fall aus der Region. Bestenfalls vom Vriesen-Hof von unseren Genussgefährten Annegret und Dietrich Vriesen.
Friesenkrone, Vriesen-Hof … in vielem Guten scheint ein VFriese zu stecken.
Toppings
Wir haben Röstzwiebeln (für den Crunch), Kartoffel-Dip, Forellen-Kaviar, Schnittlauch, Grüne- und Rote-Bete-Kresse als Garnitur verwendet. Schmeckt toll und verwandelt das sowieso schön anmutende Gericht zu einem Gemälde auf dem Teller. Nicht abgehoben, wie in der Nouvelle Cuisine, sondern als farbenfrohe Hausmannskost. Ich weiß gerade nicht, ob hier gendern okay wäre?
Abwandlungen
Während dieser leidigen C-Zeit habe ich am 25.03.2020 auch mal eine „Labskaus-Corona-Edition“ kreiert. Damals auf der Basis von Süßkartoffeln, wo ich Spicy-Möhrchen untergemengt und Sardinen in Chili-Öl angelegt habe.
Also, der Phantasie scheinen nur die Grenzen gesetzt, an die man selber stößt – bislang. Mehr dazu gleich bei der Weinempfehlung.
Labskaus-Secret
Wenn ihr Labskaus googelt und dann auf Bilder klickt, landet ihr bisweilen bei Impressionen, die wie Moppelkotze anmuten. Also Pampe, die man freiwillig nicht in den Mund nehmen würde. Meine Vermutung ist, dass diese vornehmlich von Besitzern eines T-Schredders stammen. Man kann das wie die alten Seefahrer machen und alles pürieren. Man muss das aber nicht! Die wenigsten von uns leiden unter Skorbut. Also ist es schön, wenn die einzelnen Komponenten noch ein wenig Biss haben und identifizierbar sind. Das fällt beim Corned-Beef schwer. Aber dazu gleich mehr.
Was noch wichtig ist. Stellt euch bitte eine Flasche Rote-Bete-Saft in Reichweite. Die soll nicht den obligatorischen Küchenwein ersetzen, sondern dann zum Einsatz kommen, wenn ihr das Gericht servieren wollt. Gebt dann bitte so lange Rote-Bete-Saft zu der Kartoffel-Fleisch-Masse, bis ihr einen Farbton erzielt habt, wie auf unseren Bildern. Wenn ihr mehr der Alt-Rosa-Typ seid, auch auf dem Teller, lasst diesen Kniff weg. Auch wenn es dann sch… aussieht.
Corned-Beef-Alternative
Diese kam mir bei einem Sauna-Besuch im Bahia. Genauer gesagt, beim Besuch des dortigen Restaurants, in den Sinn. Dort gab es als Sondergericht eine Ofenkartoffel auf Pink-Coleslow, worauf Pulled-Pork mit einem Bacon-Dip thronte.
Einfach zum Niederknien – RESPEKT an die Küchencrew und den Küchenchef. „Dafür kommst du wieder“, würde Kirsten sagen. Liebes Bahia-Team, ich weiß nicht, ob ihr diese Zeilen lest. Und ja, das Leben ist auch kein Wünsch-dir-was-Salon. Aber es wäre unterlassene Hilfeleistung am Gaumen eurer Gäste, dieses leckere Gericht, nicht sporadisch mit ihnen zu teilen.
Was hat das mit Labskaus zu tun? Also, da man heute gepökeltes Rindfleisch nur schwer bekommt, ist es am einfachsten, wenn man auf „Blechochsen“ (Corned Beef in Dosen) zurückgreift. Wenn einem Dosenfutter zu suspekt ist, könnte man auch Pulled-Pork, Pulled-Beef, Pulled-Turkey, Pulled-Lachs, whatever nehmen. Gibt ein besseres Gefühl und ist ein wenig hipper. Apropos hipp …

Welcher Wein?
Wenn wir schon von einer Renaissance des Labskaus sprechen und schreiben, gehört heutzutage eine Weinempfehlung zum
guten Ton. Es gibt WeinGeister die schwören
„Stein und Bein“ auf Pinot Noir als idealen Begleiter. Quasi WeinStein und PiratenBein, um diese Story hier rund zu machen.
So las ich vom genialsten Pinot Noir-Sharing-Erlebnis, wenn man die Rote Bete kocht und noch warm serviert. Womit sich auch der Kreis zum Labskaus schließt. Für meinen Geschmack leicht gekühlt und bestenfalls von der Ahr!
Haltbarkeit von Labskaus
Das Labskaus könnt ihr an den folgenden Tagen noch wunderbar aufwärmen. Matjes und Brathering eher nicht (für die Neulinge am Herd).
Auf jeden Fall solltet ihr zum Karneval im Februar neuen Labskaus ansetzen, um das mögliche KaterGejammer um Altweiber, Rosenmontag und Aschermittwoch zu beschwichtigen.
Wir sind zu dieser Zeit, auf den Spuren von Karl Lagerfeld, mit unseren Kameras in Paris unterwegs. Ob der Hamburger Jung wohl eine Labskausaffinität hatte? … und was heißt Labskaus auf französisch?
Ich denke, wir melden uns bei passender Gelegenheit mit einer französischen Variante dieses Gerichtes. Es sind ja nicht nur die Engländer zur See gefahren.
Auch wenn diese in der Liste von Seefahrern auf Wikipedia verdammt oft auftauchen. Irgendwie komisch, dass die jetzt anfangen zu fremdeln – finde ich.
Habe gerade Boris Johnson und Lieblings
gericht gegoogelt. Das ließ mir keine Ruhe. Gefunden habe ich folgende Schlagzeile:
Boris Johnson liebt es tierisch … „Veganismus ist ein Verbrechen gegen Käseliebhaber.“
Ist zwar noch keine Bestätigung seiner Labskauspassion, geht aber schon mal in die richtige Richtung. 🙂
Euer PAN-KitchenStories-Team