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Schreiben ist Denken mit der Hand 

von | Dez 27, 2022 | Coverstory

Ein fiktives Interview 

Prolog 

Im November-PAN 2022 haben wir mit dem Photographer-Interview von Kirsten begonnen, unsere Sicht auf die Dinge mit euch zu teilen. Wie denkt, wie tickt die Herausgeberin des PAN in Bezug auf die Bilderwelten, die sie mit ihren Kameras für dieses IndieMagazin einfängt. Wir hatten angekündigt, dass wir dies mit allen Facetten unseres Verlages tun werden – sprich unseren Passionen Zeit und Raum geben werden. In dieser Ausgabe geht es ums Schreiben. 

 

Freitag, 16. Dezember 2022, 19.44 Uhr , 46397 Bocholt / Münsterstraße 12 / Analogitales Büro im MÜ12 Verlag 

Während sich Kirsten mit einer Yoga-Session in Balance bringt, entkorke ich eine Flasche 2017er Domaine des Bouquets / Gigondas / Frankreich und richte meinen Schreibplatz. 

Ich erhebe das Glas und stoße auf Rajvinder Singh an, einem meiner Mentoren, die mich zum Schreiben inspiriert und ermutigt haben. Ein Toast auf einen ganz besonderen Menschen, der heute vor einem Jahr gestorben ist, im Alter von 65 Jahren. 

Ein einzelner Schluck, ein würdiger Tropfen. Ich schiebe das Glas beiseite und gönne dem Rotwein die Luft zum Atmen und meinen Gedanken ihren Lauf. 

Ich rufe Kirstens Interviewtext aus dem November auf, lösche alle Antworten und münze die Fragen auf das Metier des Schreibens um. Ich bin gespannt, welche Antworten mir zu meinen Fragen einfallen, die ich Kirsten seinerzeit gestellt habe.

Auf geht’s, ins Interview mit mir selbst:

Was war dein erstes Schreibgerät, an das du dich erinnern kannst?

Ich muss schmunzeln bei dieser Frage. Es könnte ein Pelikan- oder Geha-Füller gewesen sein, der zur Einschulung seinen Platz in der Schultüte fand. 53 Jahre her und trotzdem sind mir die Marken präsent, als wäre es gestern gewesen. Ich weiß es nicht ganz genau, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es Pelikan-Patronen waren, die ich zum Nachfüllen kaufen musste. Es könnte auch sein, dass ich das ABC noch mit Kreide auf Schiefertafeln kritzeln musste, irgendwie bohrt sich dieses Geräusch gerade in meinen Gehörgang.

 

Komisch, dass man sich im Laufe seines Lebens oftmals zwischen zwei Lagern entscheiden musste: Adidas oder Puma, Nikon oder Canon, Mac oder Windows, Barfuß oder Lackschuh etc. 

Ich habe in allen Kategorien stets die erste Variante bevorzugt. 

Hast du das Schreiben von der Pike auf gelernt?

Nein. Ich bin in vielen Dingen leidenschaftlicher Autodidakt. Das erste bewusste Schreiben fand Ende der 80er statt. Seinerzeit entstanden aus den Notizen eines kleinen blauen Buches, in dem ich Etappen zu einem Urlaub am Lago Maggiore skizziert hatte, die ersten Texte. MerkWürdiges, um das Heranwachsen der Kinder zu konservieren. Es folgten Urlaubsnotizen in Schweden, mein erstes Manuskript mit dem Arbeitstitel „Unter Mücken“ in Anlehnung an Karl May’s „Unter Geiern.“

Dieses handschriftliche Manuskript floss in die Tastatur meines ersten PC’s. Das müsste Ende der 90er gewesen sein. Damals war mir das Thema Datensicherung noch nicht so präsent wie heute. Das heißt, die Mückenzeilen in Buchstärke summen heute möglicherweise immer noch durch’s Orbit, ohne von mir eingefangen worden zu sein. So ist das halt mit den Mücken.

Ich war über Jahre Ghost-Writer für den Nikolaus, der bis zu 65 Kolleginnen und Kollegen im Rahmen der jährlichen Weihnachtsfeier die von mir fixierten, mit humor-geschwängerten Leviten gelesen hat. Geleitet von der Maxime von Simone de Beauvoir: „Wenn ich die Feder in der Hand habe, schrecke ich vor nichts zurück.“

Wer waren deine Mentoren? 

Allen voran mein väterlicher Freund Hermann Kunkler, der 2020 im Alter von 93 Jahren verstorben ist. Eine gute, weise Künstlerseele. Hermann war Goldschmied, Bildhauer und Autor. Er hatte 2002 viele meiner Texte, einer Restaurant-Zeitung gelesen und ist bis zu seinem Tod nie müde geworden mich zum Schreiben zu ermuntern.

Der Einfluss Rajvinder Singh, dem ich heute gedenke, ist mir erst im April in diesem Jahres deutlich geworden, als ich mir Zeit zum Reflektieren genommen habe. Ich hatte mich im November 2008 zu einer Schreibwerkstatt in Trier eingeschrieben. Wir waren ca. zwölf Menschen, die sich für ein Wochenende dem Schreiben hingeben wollten.

Ray (Rajvinder) geboren in Kapurthala / Indien war 2007 Stadtschreiber von Trier.

Schon während der Vorstellungsrunde  beeindruckte mich sein wertschätzender Umgang mit uns „Möchtegern-Schreiberlingen.“ Als er Facetten seiner bewegenden Vita mit uns teilte, durchlebte man Freud und Leid seines Lebens so, als wäre man dabei gewesen – so emotional und authentisch vorgetragen.

Unauslöschlich in Erinnerung ist mir das Setting, als er uns bat, ihm Begriffe zuzurufen, die als Basis für eine gemeinsame Story dienen sollten. Die Tafel füllte sich mit allerlei Sinn und Unsinn. Als kein Kreidestrich mehr Platz fand, trat Ray einen Schritt zurück und begann mit den Worten „Wie wäre es, wenn …“ 

Was dann folgte, war ein Ex-Ärmelo-Story-Design bei dem jeder Zuruf seinen Platz in einer sinn-stiftenden, logischen Geschichte fand. Mit der gleichen, spielerischen Selbstverständlichkeit filetierte Ray die Story in sechs Kapitel und ordnete jedem Kapitel zwei Teilnehmer zu. Und so schrieben an diesem Wochenende zwölf unterschiedliche Charaktere gemeinsam ein Buch – mit einem roten Faden, den Ray in nicht mal fünf Minuten ersonnen hatte. 

Mit 14 Jahren Abstand hatte ich beim Design der Story „Das Bermuda-Dreieck des Koffein“ mit Sarah und Mike Novak Momente, die mich an Ray erinnerten. Lange war mir verborgen geblieben, dass er diese Faszination des Storybuildings in mir gepflanzt hatte. 

Wieviel Bücher hast du bislang geschrieben? 

Keines. Augenscheinlich nicht rühmlich, für jemanden, der für sich das Attribut des Vielschreibers in Anspruch nimmt. Zur Rechtfertigung könnte ich anführen, dass ich als Co-Autor an drei verschiedenen Buchprojekten mitgeschrieben habe. Aber das wäre so, als wenn der Sous-Chef vom verblichenen Bocuse sich mit dem Kochbuch seines Maestros rühmen würde.

Apropos Kochbuch. Aus meiner Feder stammen sowohl Zeilen als auch die Kreationen der Gerichte des PAN seit 2011. Sicherlich genug Stoff, um zwei bis drei Kochbücher zu füllen, wozu ich bisweilen animiert werde. Aber … großes ABER … die Erwartungshaltung an herkömmliche Kochbücher dämpft meine Freude, eben solche zu schreiben. Ich mag Stories, Motive und Küchengeheimnisse. Grammgenaue Rezepturen und akademisch anmutende Arbeitsanleitungen lassen die Gedankentinte in meinen Synapsen austrocknen. Ich will keinen Anteil haben am „Malen nach Zahlen“ in der Küche. Das macht schon diese Maschine mit dem „T“ am Anfang, deren Namen ich mich weigere, in den Mund zu nehmen. 

Wo war ich? Ich verliere mich. So ist das manchmal beim freien Schreiben. Apropos freies Schreiben. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass ich mit 104 Jahren friedlich entschlummere, ohne jemals ein Buch publiziert zu haben.

Meinst du das im Ernst? 

Jepp. Das ist eine Erkenntnis und Entscheidung, die erst in den letzten Monaten gewachsen, gereift und die ich mit mir vereinbart habe.

Wieso?

Weil ich angekommen bin mit der Art, wie ich es liebe zu Schreiben und zwar in Magazinen. Ich fühle mich labrador-retriever-wohl in der Welt der Magazine. Ich genieße es, die angesprochenen Kitchen-Stories für den PAN zu schreiben. Menschen zu ermutigen, zu inspirieren, ihr eigenes Ding in der Küche zu machen, statt sich durch sklavische Vorgaben entmündigen zu lassen. 

Ähnlich verhält es sich mit redaktionellen Beiträgen, wie „Geteilte Gedanken“, „Die Lobfrau“ und den „Schmökeraffen“. Allesamt unter dem Credo zu verstehen: Nachdenken – gegebenenfalls Umdenken – und wenn man mag … Neudenken. 

Was war die Initialzündung für das
Businessmagazin PLATZHIRSCH, der vornehmlich durch deine Feder getrieben
/ geschrieben und im MÜ12-Verlag verlegt wird? 

Das war zunächst einmal der Umstand, des Sven Porschhöfer sein Wirtschaftsmagazin VierSechsDrei Mitte 2018 eingestellt hat. Das war das auslösende Momentum für Kirsten und mich, zu überlegen, wie wir mit diesem Vakuum umgehen. Es gab Überlegungen, den PAN, um einen Wirtschaftsteil zu bereichern. Doch am Ende stand die Entscheidung, den PLATZHIRSCH als reines, regionales B-to-B-Magazin (Business-to-Business) zu verlegen. Die erste Ausgabe haben wir 2019 gelauncht. 

Beim Schreiben dieser Zeilen fallen mir Momente ein, wo wir WhatsApp-Nachrichten von Freunden und Bekannten bekamen, die den PLATZHIRSCH in den Regalen von Zeitschriftenhändlern entdeckt hatten. Stolz und Scham liegen da sehr eng beieinander. Kirstens Ausspruch: „Es gibt kein Druckprodukt ohne Fehler“ wurde zur blanken Gewissheit.  Eine Erkenntnis, mit der ich gelernt habe zu leben, trotz mehrerer Querleser, Lektoren und uns selbst. 

Drei weitere Ausgaben des PLATZHIRSCH folgten, bis sich Anfang 2020 das Phänomen mit dem „C“ in den Weg stellte. Für ein Magazin, was sich authentische Interview-Sessions und Bilderwelten auf die Fahnen geschrieben hatte, waren Gespräche und Shootings mit „Schnutenpullis“ (Masken) eher unsexy. 

Wir haben dem PLATZHIRSCH eine ausgiebige C-Pause gegönnt und freuen uns, wenn er im Frühjahr 2023 wieder in sein Revier zieht. 

Zwei Jahre C-bedingte Schreibpause, außer den Beiträgen im PAN? 

Nöpp. Durch den PLATZHIRSCH sind uns 2021 zwei Magazin-Projekte „zugelaufen.“ Im Nachgang könnten wir uns diese dadurch schön reden, dass sie uns menschlich extrem bereichert haben, wir viel
daraus gelernt haben. 

… und bei Licht betrachtet?
… unter wirtschaftlichen Aspekten kämen beide Projekte nicht über eine Vier-Minus hinaus. 
… und 2022? 
Ich bin ein Freund des LLL – positiv wie negativ.
… was genau heißt?
Life-Long-Learning, sprich Lebenslanges Lernen. Man darf Fehler machen, aber man sollte achtgeben, dass man dieselben Fehler nicht mehrfach macht. 

Aus 2021 habe ich mitgenommen: „Wir machen keine Hausbesuche mehr“ und „Wir schreiben nicht unter anderem Namen.“

Das klingt jetzt relativ bedeutungsschwanger, aber es ist einfacher als es anmutet. 

Wir haben echt tollen Möglichkeiten in unserem Verlag an der Münsterstraße 12 in Bocholt. Wir brauchen keine Dependance in Hamburg – auch wenn sich das gut anfühlt und mir der Titel CSO (Chief-Storytelling-Officer) für dieses Projekt 

schmeichelte. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, wo der Projekt-Partner, eine traditionsreiche Reederei wegen der Pandemie Insolvenz anmelden musste. 

Punkt zwei. Noch wichtiger. Wir haben uns mit dem PLATZHIRSCH das Credo „Business-unplugged“ auf die Fahnen geschrieben. Echte Stories mit echten Typen, die echt etwas zu erzählen haben – und sich das auch trauen. Das fällt schwer, wenn sich parallel schleichend entwickelt, dass ein Kunden-Magazin an den Markt gestellt werden soll, das Everybody´s-Darlings verkörpert. Wo jede menschliche Facette, jede Ecke, jede Kante glattgebügelt wird, dass es dem Mainstream der anvisierten Leserschaft gefallen könnte.

Wo war ich? Ach ja, beim Schreiben 2022. Mit dem RADius, dem ersten BikeMagazin für diese Region werden wir im Februar 2023 ein hochwertiges Coffee-Table-Magazin launchen – analog wie digital. 150 Seiten „von Bikern für Biker“ werden in einer Auflage von 5.000 Exemplaren in der Region Bocholter Aa kostenlos an den Markt gestellt. Echte Stories, mit Impulsen die Lust auf das Thema Biken machen, die inspirieren. 

Lieblingsschreibgerät? 

Montblanc Great Characters Leonardo da Vinci Rollerball – mit der Nummer 1370 von 3000, sprich Limited Edition
… und folgender Erklärung …
Den musste ich mir gönnen, damit er mich mit seinen Details täglich an die Genialität und die vielen Facetten des Menschen erinnern möge, dem er gewidmet ist.
… klingt nicht unversnobt …
Ich weiß, aber er ist der tiefen Passion für das Thema Schreiben geschuldet. Ein guter Freund sagte mir mal: „Gutes Werkzeug muss sein“. Dem kann ich etwas abgewinnen. Wobei ich das analog zum Wein sehe. Das besagte Schreibgerät soll für besondere Zeilen herhalten, während als Synonym für einen „Every-Day-Drinking-Wine“ ein Messing-Kugelschreiber, der Firma Legendär, mein ständiger Begleiter ist.
… ständig?
… ständig! Zusammen mit einem kleinen Moleskine-Notizbuch. Allzeit bereit, um Notizen und Augenblicke einzufangen.
… wirklich ständig?
… teste es aus. Wenn du mich ohne Stift und Papier erwischst, zahl ich den Wein. Wenn ich’s mitführe, zahlst du die Zeche. Der Deal gilt an allen Orten, außer in der Sauna.

Lieblingspapier? 
Blanco-Notiz-Bücher von X17, die ich seit elf Jahren beschreibe und die ihr Zuhause in meiner X17-Ledermappe haben, die mich täglich begleitet. Mit einem 78-seitigen Notizbuch komme ich ca. 3-4 Wochen aus. Danach wandert es auf den Stapel aller Notizbücher, um irgendwann von mir quergelesen zu werden. Meistens während einer Eigenzeit im Herbst.

Klingt nach Ritualen.

Sind es auch. Meine täglichen, handschriftlichen „Morgenseiten“ habe ich einem externen Impuls zu verdanken. Von Julia Cameron ersonnen, um Schreibblockaden vorzubeugen, die bei Vielschreibern des Öfteren auftreten. Von mir wahrgenommene Nebeneffekte: Meine Stirn glättet sich beim Schreiben, weil ich meine Gedanken einfach auf’s Papier fließen lasse und somit meinen Kopf entlaste.

„Schreiben ist denken mit der Hand“ – wie es der Slogan der Leuchtturmgruppe, die den „Legendär“ vertreiben, so treffend und emotional auf den Punkt bringt.

Denken mit der Hand

Zudem habe ich festgestellt, dass dieses Schreiben für mich zukunftsbildenden Charakter hat. Wenn ich bei der angesprochenen Eigenzeit alte Notizen noch mal lese, wundere ich mich, wie viele dieser Gedanken mittlerweile Realität geworden sind. 

Wieviel schreibst du? 

Wenn ich mich rundherum wohl im Thema fühle, können es schon mal 4.500 Wörter am Tag werden. Das ist aber eher die Ausnahme. Dann verliere ich mich beim Schreiben, da spielen Raum und Zeit für mich keine Rolle mehr – von Arbeit ganz zu schweigen. 

Klingt viel! 

Ist es auch. Es gibt kleine Büchlein mit dem Titel „Musenküsse“. Deren Autor Mason Currey hat sich mit den Schreibritualen berühmter Schriftsteller auseinandergesetzt. Darin steht zu lesen, dass Ernest Hemingway 500 Wörter am Tag geschrieben hat, während Stephen King selten aufhörte, bevor er sein tägliches Minimum von 2.000 Wörtern erreicht hatte. Im Schnitt schreiben alle dort aufgeführten Schriftsteller ca. 1.800 Wörter am Tag. Eine Schreibmenge, mit der ich mich gut anfreunden kann, wobei ich nicht täglich schreibe, mit Ausnahme der Morgenseiten. 

Es kommt auch darauf an, wie ich mich auf das Schreiben vorbereitet habe. 

Zurück zum Schreiben. Analog oder digital? 
Beides. Ich liebe mein iPad und Noteshelf. Eine App, mit der ich digitale Notizen
erfasse. Ich habe 7-8 dieser Apps erprobt. Für mich und mein Schreibverhalten ist Noteshelf kongenial. Was ich aber als noch genialer empfinde, ist für mich das Schreiben auf Papier. Das hat einfach eine andere Qualität, es ist unmittelbarer, reiner. Es ist für mich wie Kochen auf Gas, statt auf Induktion. 

Das gilt auch für meine Mind-Maps zum Story-Design. Diese auf meinem MacBook Pro zu erstellen, ist tägliche Routine. Aber wenn ich dazu einen der DIN A3 Büttenpapier-Bögen nutze, die mir Kirsten geschenkt hat, hat das eine andere, eine tiefere Qualität. Ich muss mich bei meiner Aussage zum Lieblings-Papier korrigieren. Diese Bögen stehen eindeutig auf PLATZ 1. Da skizziere ich den Hauptgedanken, das Thema in der Mitte und alle Gedanken finden dann rundherum ihren Raum. 

So ein Bogen kostet zwischen zwei und drei Euro, viel Geld wie ich finde, aber es ist mir der Umgang mit den eigenen Gedanken und was daraus entstehen kann wert. 

Schön auch zu sehen, wie sich meine Gegenüber wertgeschätzt fühlen, wenn ich für ihr Thema einen solchen Bogen mit Notizen entjungfere. 

Woran machst du das fest, ob du analoge oder digitale Notizen anfertigst? 

Das sind meistens Bauchentscheidungen, die ich bisweilen aber auch an meinem Gegenüber festmache. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich es mit einem Menschen zu tun habe, der empfänglich für ein solches analoges Setting sein könnte, greife ich gerne zu Stift und Papier. Im Sinne der Effizienz würde sehr oft die Entscheidung zugunsten des iPad fallen. 

Beim Schreiben fällt mir auf, dass ich vor einiger Zeit einen Artikel im PLATZHIRSCH zur „Magie von Notizen“ geschrieben habe.

Amüsiert schmökere ich im PLATZHIRSCH #2, der hinter mir auf dem alten Druckereischrank liegt. Mir wird deutlich, dass ich einige der bisherigen Zeilen einfach durch Copy und Paste hätte übernehmen können. So ist das halt, wenn die Gedanken einmal im Fluss sind. – Da gibt’s kein Halten mehr. 

Platzhirsch #2
die Magie von Notizen auf Seite 20

Facebook oder Instagram?
Eindeutig Facebook, weil dort mehr Raum für Texte ist. Wobei ich auch eine Insta-Seite habe, für meine Passion der Street-Photographie. Die Zeit ist nah, wo ich dieser Leidenschaft mehr Raum geben kann. 

Gibt es Menschen, die dich beim Schreiben inspirieren?

Ganz, ganz viele! Angefangen über Erma Bombeck, die mich durch „Wenn meine Welt voll Kirschen ist, was tu ich mit den Kernen?“ für das humorvolle Schreiben inspiriert hat. 

Simone Kippenberger hat mich durch „Am Tisch –  die kulinarische Bohème oder Die Entdeckung der Lebenslust“ und nicht zuletzt durch „Die Kunst der Großzügigkei – Geschichten einer leidenschaftlichen Schenkerin“ darin bestärkt, dass das Schreiben in Appetithäppchen (Kurzgeschichten) für mich spannender ist, als das Big-Picture eines Schinkens wie „Säulen der Erde.“ Ich mag das Schreiben in Kapiteln, das Switchen untereinander, die Aneinanderreihung zu einem halbwegs logischen Story-Board in einem Magazin. 

Nicht zu vergessen, das Buch „Der Weg des Künstlers“ von Julia Cameron. Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn ich nicht vor ca. 15 Jahren Übungen, wie „Morgenseiten“ oder „Künstertreffs“ als Routinen zur Kultivierung meiner Kreativität adaptiert hätte.

Allesamt Frauen, fällt mir gerade auf. Was wäre eigentlich aus mir geworden, wenn mein Patenonkel mir zur Kinderkommunion „Ronja Räubertochter“ statt „Kalle Blomquist – der Meisterdetektiv“ geschenkt hätte? – Schon wieder eine Frau an der Feder. Ein Toast auf Astrid Lindgren. Jetzt endlich, der zweite Schluck des Rotweins. 

Was macht die Passion Schreiben aus heutiger Sicht für dich aus? 

Sie schult mein Bewusstsein. Durch das Mitführen von Stift und Papier bin ich empfänglicher und aufmerksamer. Aus Heinrich Bölls „Ansichten eines Clowns“ habe ich durch das Zitat: „Ich bin ein Clown und ich sammele Augenblicke“ genau
diese Angewohnheit abgeleitet und manifestiert. Dinge und Situation des Alltags in Notizen zu skizzieren und sie mit einer guten Prise Humor zu würzen. 

Beeinflusst das Schreiben deine Persönlichkeit? 

Ein ganz klares Ja. Ich habe gelernt, mit mir selber in Dialog zu treten. Ich setze mich alltäglich vor leere Blätter Papier und lasse meine Gedanken auf das Papier fließen. Da entstehen Zusammenhänge und Ideen, die vorher nicht da waren. Einfach nur, weil mein Stift übers Papier wandert. 

Wie geschildert habe ich durch dieses erwähnte Ritual „Morgenseiten“ lernen dürfen, dass Schreiben einen zukunftsbildenden Charakter hat. Meine Überzeugung: „Man entwickelt sich zwangsläufig in die Richtung, wie man schreibt.“ Da bekommt der Coaching-Satz: „Werde der Autor deiner eigenen Lebensgeschichte“ eine tiefere Bedeutung. Deshalb ist man gut beraten, in einer sehr positiven, wohlwollenden und wertschätzenden Art seine Zeilen nieder zu legen. – Denn das Unterbewusstsein liest mit! 

Wie sieht dein optimales Setting aus? 

An einem meiner drei Lieblingsschreibplätze in unserem Verlag und in unserem Nest in der Münsterstraße 12. Mit einem guten Sound zum Warmdenken über die Studio-Monitore auf den Schreibtischen, einen duftenden Kaffee in Reichweite, meine X17-Schreibkladde vor mir und mein Lieblings-Schreibgerät in der Hand. 

Dein faszinierendster Schreib-Jobbislang? 

Die Interviews mit Helmut Ackmann und Ingo Hoffs im PLATZHIRSCH und mit Dr. Georg Hungerkamp im Januar PAN 2022. Weil ich dort mein Interview-Design revolutioniert habe, weil ich mit Zwischentönen gespielt habe. Sprich Ungesagtes interpretiert habe. Genauso, wie meine Sicht auf mein Gegenüber und die Situation im Interview. Ich empfinde das als sehr lebendig und authentisch. Gleichzeitig schwang die Gefahr mit, dass mir die Interviewten die Niederschrift um die Ohren hauen, weil es so anders war –  unplugged halt. Eine Erfahrung, die mich geprägt hat, die mich für alles Gestriegelte „versaut“ hat. – Ich mag es einfach ungestelzt und ungeschminkt. So, wie das Leben halt ist. 

Ein Beispiel aus jüngerer Zeit, ist das Interview mit meinem alten Schulfreund und Klassensprecher Michael Raab, der ohne Not, als erfolgreicher Geschäftsmann, seine Achillesferse Legasthenie mit uns geteilt hat. RESPEKT dafür!

Gibt es etwas, was schreibtechnisch noch nicht dein Ding ist, was du aber gerne lernen würdest? 

Auf meiner Agenda stehen fiktive Interviews mit verblichenen Personen. Hört sich spooky an, ist aber eigentlich ganz einfach. Nehmen wir zum Beispiel Personen wie Karl Lagerfeld oder den Fotografen Peter Lindbergh. Beide faszinieren Kirsten und mich gleichermaßen. Man findet ausreichend Bücher, Interviews und Quellen im Netz, woraus man schließen kann, wie diese Charaktere tickten. Was mir fehlt, ist das Profane, die Links, die uns mit ihnen verbinden. Wir alle sehnen uns nach Gemeinschaft, nach Zugehörigkeit. Was hilft es mir, wenn ich lese, dass Karl Lagerfeld jeden Tag ein neues Hemd getragen hat, für den Preis von X, um es nach einmal Tragen entsorgen zu lassen? 

Ich will Ableitungen zum Anlehnen schaffen. Was war die menschliche Seite an ihm, wo hat er seine Croissants gekauft? Wer oder was, konnte ihm so richtig auf den Keks gehen? Was ist sein Vermächtnis? Was kann man von ihm lernen, außer Zopf und Handschuhe tragen? Wir waren in der Ausstellung von Peter Lindbergh, die er selbst vor seinem Tode kuratiert hatte. Der Name der Ausstellung: „Untold Stories.“ Ich finde es spannend, diese unerzählten Geschichten aufzuspüren, sie nachlesbar und erlebbar zu machen. 

Was ist absolut nicht dein Ding? 

Für das Gehirn von Andersdenkenden zu schreiben. Sprich, Auftragsarbeiten für Menschen, wo die Chemie nicht so stimmen scheint. Das ist Gottseidank noch nicht vorgekommen, dass merkt man im Vorgespräch und dann trennen sich die Wege. Was vorgekommen ist, in zwei Fällen, dass ich Aufträge von Menschen angenommen habe, die ich sehr schätze, aber deren Herausforderungen in meinem talentfreien Bereich anzusiedeln waren. Es gibt wahrscheinlich wenig Menschen auf diesem Planeten, die ungeeigneter wären als ich, einen Geschäftsbericht für eine Unternehmensgruppe zu schreiben. Da geht es um ZDF (Zahlen, Daten, Fakten), da verkümmert der Story-Teller in mir. 

Und das zweite ist, dass ein Unplugged-Magazin-Projekt für einen Kunden zu einer Unternehmens-Bibel mutiert ist. Zu einer On-Fits-All-Lösung, der berühmten eierlegenden Wollmilchsau. 

Beide Beispiele haben mich noch deutlicher erkennen lassen, was ich kann und was ich nicht kann und auch nicht möchte. 

Was ist dein Fingerprint bei deinen Texten? Was macht sie aus? 

Angemessener, nicht überzeichneter Respekt vor meinem Gegenüber. Entwaffnende Offenheit, penetrante Ehrlichkeit, Vertrautheit. Das Ganze gewürzt mit einer Prise Humor sowie ein Höchstmaß an Authentizität im Focus. 

Gibt es irgendjemanden, den du unbedingt mal interviewen würdest? 

Markus Lanz! – Um die Verantwortung der Medien und der agierenden Personen für die Kommunikationskultur offenzulegen.  

Und warum Markus Lanz dazu? 

Ich halte ihn für höchst intelligent in den Themen, die er anpackt. Ich sehe Optimierungspotenzial in dem, wie er bisweilen seine „Gegner“ anpackt. 

Für mich sind wirkliches Zuhören und das Gegenüber Ausreden lassen wichtige Gesten des Anstandes, in der Kommunikation. Ich finde wir haben die Pflicht, das zu wahren und zu kultivieren.  Insbesondere, wenn ein Millionen-Publikum Zeuge dieser Szenarien ist. 

 

Wo kommt diese Passion für’s Interview her? 

Sie ist biografisch gewachsen. Ich habe mich sehr viele Jahre meines Lebens mit der Befragung von Menschen auseinandersetzen dürfen. Da kam es insbesondere darauf an, die Motive hinter ihrem Handeln zu hinterfragen, um ihre Geschichte zu verstehen. Das waren Dialoge im Grenzbereich, weil sich die Menschen in der Regel im Ausnahmezustand befanden. In Projekten mit Studenten haben wir Erfolgsfaktoren, solcher Befragungs-Szenarien herausgearbeitet. Wo haben die Menschen dicht gemacht, wo haben sie sich trotz Stress geöffnet. 

Daraus habe ich Ableitungen für die tägliche Kommunikation gezogen. Im Business und auch im privaten Umfeld. 

Was ist wichtig zu wissen für die Menschen, die sich auf ein Interview mit dir einlassen? 

Vertrauen! Mir ist (bislang) nichts Weltliches fremd. Und dass es darum geht, Menschen und Unternehmen so zu zeigen, wie sie wirklich sind. Keine gespiegelten Webseiten, keine Business-Hochglanz-Pornos nach dem Motto „Höher – Schneller – Weiter.“ 

Im letzten Jahr habe ich eine Auszeit genutzt, um mich mit einem Artikel von Georg Stefan Troller auseinander zu setzen, der gesagt hat: 

“Ein gut vorbereitetes, abgefragtes und gestaltetes Interview ist ein Stück Kunst.” 

 Georg Stefan Troller

Der Ansatz, ein Interview als Kunstform zu betrachten, war mir bislang verborgen geblieben. Aber er hat unterstrichen, was wir am 20.02.2016 erfahren durften. Als Zuschauer eines Interview-Settings, als Moritz von Uslar die Schauspielerin Maria Furtwängler interviewte.  Hier eingefangen von Kirsten, mit ihrer Nikon. 

99 Fragen Live: Moritz von Uslar spricht mit Maria Furtwängler 

Dieser respektvolle, humorgeflutete, kurzweilige Umgang mit seiner Interviewpartnerin hat mich fasziniert und geprägt. Ich übe mich darin und das Zitat von Georg Stefan Troller bestärkt mich dabei und hält mich auf Kurs. Mein autodidaktisches Studium, dieser Kunstform der Interviews ist noch lange nicht abgeschlossen.

Wer oder was kann dir so richtig auf die Nerven gehen bei einem Interviewjob? 

Unkonkretes Geschwurbel. Das würde ich aber nicht an den Personen festmachen, sondern an ihrer Fähigkeit, die Geschichten ihres Unternehmens adäquat zu repräsentieren. Wir lernen Menschen kennen, mit einzigartigen Talenten, mit einem Riecher für den Markt, Produkten und Dienstleistungen. Was mich stresst ist, wenn diese Menschen ihre eigene Begabung, ihre besondere Dienstleistung, ihr Produkt soweit runter reden, dass es zur Bedeutungslosigkeit verkommen könnte. Aber das ist ja oftmals der Grund, warum wir zusammenkommen. Erstens eine mögliche Betriebsblindheit und zweitens tun sich viele Menschen schwer damit, die Vorzüge ihrer Unternehmen, ihrer Person zu kommunizieren. Deswegen sind Interviews ein gutes Stilmittel. Auf ehrliche gemeinte Fragen, darf man ehrliche Antworten geben. – Ohne, dass es vermessen oder abgehoben klingt.  

Welche Jobs reizen dich in der Zukunft? 

Ab dem 01.03.2023 startet ein weiteres Magazin-Projekt mit dem Namen „BEGEGNUNGEN.“ Da geht es um Interviews mit bekannten Persönlichkeiten und absoluten No-Names. Was sie verbindet ist, dass jeder von ihnen echt etwas zu sagen hat. Sprich, ein Mehrwert, der auf die Zielgruppe der Life-Long-Learner einzahlt. 

Ein megaspannendes Projekt, was ein Novum in der bisherigen Interviewkultur darstellt. Unser erstes Coffee-Table-Magazin, was wir im gesamten deutschsprachigen Raum ausrollen. Zugleich unser erstes Entgelt-Produkt. 

Handschmeichelnde Haptik – Untold-Stories – schräg anmutendes Interviewdesign – digitalisiert – limitiert – mit dem Anspruch auf prämiert.  

Auflockerungsfrage, du hast die Möglichkeit, eine Person zu interviewen, die inzwischen das Zeitliche gesegnet hat. Wen würden wir mit dir matchen? 

Ganz klar! Leonardo da Vinci. Ich würde wissen wollen, wie er mit dem Reiz dieser analogitalen Epoche umgehen würden. Ob er seine Notizen immer noch mit einem Eisenstift ins Papier ritzen würde. Ob er mit einem iPad unterwegs wäre oder analogital, wie wir im Verlag MÜ12. 

Dem Angeklagten gebührt das letzte Wort, was muss noch raus? 

Dass ich Ende diesen Jahres erkannt habe, wieviel ich eigentlich zum Thema Schreiben zu sagen habe, welchen Einfluss es auf mein Leben genommen hat. 

Und dass ich diese Passion gerne mit Menschen teilen werde, die dafür empfänglich sind. Es wird im Jahr 2023 die erste Schreibwerkstatt in unserem MÜ12 Verlag, in unserer Agentur geben. Und dann werden wir abends gemeinsam das Glas auf Rayvinder erheben, nachdem wir tagsüber mit der Hand gedacht haben.  

Das sind jetzt knapp 4.500 Wörter geworden. Ich schrieb es doch: Beim Schreiben verliere ich Raum und Zeit. Apropos Zeit: Nach zwei Gläsern Rotwein und 01:19 auf der Uhr drücke ich auf Speichern! Nicht das sich das Mücken-Desaster wiederholt.