Eine Interview-Session mit Gisela Pieron Gesellschafterin der PIERON GmbH
über Verantwortung, Mut und Menschlichkeit
Interview: Roland Buß | Fotos: Kirsten Buß
Prolog
Mit dem „anständigen“ Beispiel von Katharina Reiche sind wir in den PART II unserer neuen Kolumne eingestiegen. Ein prominentes Beispiel mit globaler Bedeutung – aber wie schaut es mit den Frauen in Führung in der Region aus? … z. B. im größten zusammenhängenden, erschlossenen Industriegebiet im größten Bundesland unserer Republik … und dessen Umland, in dem wir leben?
Die Suche und Ansprache von weiblichen Führungs-Charakteren haben wir zum Teil der PAN-DNA erklärt. Für uns logisch und konsequent, eine Grand Dame des Unternehmertums in diese Kolumne einzuladen – auch wenn sie mich für diesen Begriff wahrscheinlich tadeln wird ;-). Naheliegend auch, weil das Unternehmen PIERON in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag feiert. Ein schöner Anlass und … sehr passend zu einem besonderen Geburtstag der zu Interviewenden, wie wir finden. Zugleich eine schöne Gelegenheit, zweier „Frauen in Führung“, die sich schon lange kennen, in einem persönlichen Umfeld beim Kaffee Geschichten zu erinnern und zu teilen. Für mich und diese Kolumne ein entspannter Rahmen, um Giselas Gedanken und ihre Haltung zum Thema Führung für uns alle einzufangen.
Freitag | 11. Juli 2025 | 14:33 Uhr 46395 Bocholt | an einem kleinen Teich mit ein paar Koi-Karpfen hockend
Während die Ladies sich zum Kaffee im Wohnzimmer niederlassen, gehe ich in Bodenlage, um unserer sichtlich entzückten Fellnase Paula bei ihrem Koi-TV-Ritual zuzuschauen. Es hat den Anschein, als wenn sie sich in diese Farbkarpfen verliebt hat – verbunden mit der Fähigkeit, sie schon an der Haustür zu erschnuppern.
Nach einer kurzen Begrüßung von „Milla“, einer 12-jährigen Labrador-Dame nebst deren Fräuchen Gisela, eilte Paula zu dem kleinen Teich im Atrium, um dort dem Treiben der Kois zuzuschauen. Etwas, was sie regelmäßig tut und liebt, wenn wir unsere Freunde Katja und Stefan besuchen. Dort haben wir schon Szenen eingefangen, wie Fisch und Hund miteinander zu schmusen scheinen.
Zeit für mich, zu den Damen zu stoßen und Teile des Gesprächs für unsere Kolumne einzufangen. Während Gisela mir einen Kaffee eingießt, falle ich mit der ersten Frage ins Haus:
Liebe Gisela, auch wenn wir wissen, dass du um deine Person kein großes Brimborium machen möchtest … als Unternehmerin und öffentliche Person des Stadtgesprächs wird wenigen entgangen sein, dass du unlängst einen runden Geburtstag feiern durftest – wie war das für dich?
Ehrlich gesagt, das war kein einfacher Tag für mich. Ich weiß, für viele klingt das wie ein Grund zu feiern – und das war es ja auch. Aber für mich war dieser Geburtstag auch ein Moment der Nachdenklichkeit. Ich bin mit dem Herzen noch voll im Unternehmen, mein Kopf ist klar, ich will noch gestalten. Ich habe mir den Titel des Buches „Älter werden ist nichts für Feiglinge“ für meine Geburtstagseinladung „ausgeliehen“ – und ehrlich gesagt: Es hat mich bewegt. Weil es stimmt.
Nimm uns gerne mit auf deine Zeitreise – insbesondere als „Frau in Führung.“
Ich hatte schon früh Verantwortung in einer Anwaltskanzlei übertragen bekommen. Nach dem Unfalltod meines damaligen Chefs wechselte ich zum Amtsgericht, um auf Wunsch meines Schwiegervaters dort Erfahrungen zu sammeln, die im Unternehmen PIERON von Nutzen gewesen wären.
Ich war fünfunddreißig, als mein Mann Jörg, Geschäftsführer und Enkel des Gründers Hugo Pieron, nach schwerer Krankheit viel zu jung verstarb. Meine Schwiegermutter hat damals gesagt: „Gisela, du musst das übernehmen und für die Familie erhalten.“ Es war keine Bitte – es war ein klarer Appell. Ich hab’s gemacht. Nicht aus Ehrgeiz, sondern aus Pflichtgefühl. Ich wollte, dass das Unternehmen fortbesteht – dass die Menschen ihre Arbeit behalten – dass unsere Kinder eine Zukunft haben. Es war hart. Sieben Jahre lang musste ich mit einem patriarchalen Geschäftsführer zusammenarbeiten, der Frauen in Führung schlicht ablehnte.
Wie hast du das damals durchgestanden … der Verlust deines Mannes, als Mutter dreier Kinder … unter diesen widrigen Bedingungen?
Es war mein Wille, nicht aufzugeben … und das fortzuführen, was unsere Familie uns überlassen hat. Die Belegschaft hat hinter mir gestanden. Das hat mich getragen.
Was hat sich in dieser Zeit verändert, nach deinem mutigen Schritt, sich von dem damaligen Geschäftsführer zu trennen?
Ich konnte endlich so führen, wie ich es für richtig hielt. Ich habe auf Menschlichkeit gesetzt. Zuhören. Türen offen lassen. Entscheidungen mit den Menschen gemeinsam vorbereiten und umsetzen. Natürlich musste ich am Ende des Tages die Entscheidungen treffen und verantworten. Aber ich wollte, dass die Menschen mitdenken, mitfühlen, sich gesehen fühlen. Ich glaube, das haben sie auch gespürt.
Was sind für dich die Kernelemente, die ein gutes Führungsverhalten ausmachen sollten?
Respekt und Vertrauen. Ich habe nie jemanden wie eine Zahl oder ein Zahnrad behandelt. Ich habe versucht, die Menschen in ihrer Lebenssituation zu sehen. Ob das junge Mütter waren, Kolleginnen nach einer Krankheit oder Mitarbeitende in Krisen – ich wollte, dass sie wissen: Hier, in diesem Familienunternehmen PIERON, darf man auch mal nicht perfekt sein. Das hat übrigens nichts mit „weich“ zu tun. Das ist Haltung. Ich fühle mich erinnert an einen Satz von Dr. Franz Netta, den ich vor 15 Jahren zum Thema Führung interviewt habe – mit der Bitte … Führung mal ganz einfach und verständlich in einem Satz auf den Punkt zu bringen. Der Mensch, der seinerzeit als Vice President Human Resources die Personalund Gesundheitspolitik des Unternehmens Bertelsmann mitprägte, antwortete wie folgt:
„Behandele die Menschen stets so, wie du selbst gerne behandelt werden würdest.“
Du hast Frauen gezielt gefördert – in einer Zeit, in der das noch längst nicht selbstverständlich war. Wie bist du das damals angegangen?
Nach dem Umzug in den Industriepark Bocholt, zum Schlavenhorst, begannen wir mit der Ausbildung von Lehrlingen. Unser erster Lehrling im technischen Bereich, unter meiner Verantwortung, war eine junge Frau. Nach ihrer Elternzeit ist sie heute immer noch in unserem Unternehmen
tätig. Wir haben Wert daraufgelegt, dass es im technischen Ausbildungsbereich, wenn möglich, immer ein ausgewogenes Verhältnis zwischen jungen Frauen und jungen Männern gab. Eine dieser jungen Frauen, vierfache Mutter, ist heute noch unsere Ausbildungsleiterin.
Wir haben verkürzte Arbeitszeiten nach der Geburt von Kindern ermöglicht, den Wiedereinstieg gefördert, auch technische Ausbildungen für Frauen aktiv unterstützt. Wir haben die Mütter während ihrer Elternzeit immer über Neuerungen im Unternehmen informiert und den Kontakt zu ihnen gehalten. Für mich war das normal. Ich habe einfach gesehen, was diese Frauen können – wenn man sie lässt.
Du hast nicht nur den Ton in der Führung verändert, sondern auch die Struktur eures Unternehmens – mit der Einberufung eines Beirates zum Beispiel. Was war dir dabei wichtig?
Ich wollte Kontrolle – aber im positivsten Sinne. Der Beirat sollte uns unterstützen, den Blick zu weiten. Professor Dr. Hentze aus Münster war einer der ersten, den ich dafür gewinnen konnte. Er steht uns heute noch zur Seite. Es ging darum, dass niemand
– auch ich nicht – Entscheidungen im Alleingang trifft, ohne andere Perspektiven zu hören. Gerade bei Themen wie Nachfolge oder dem demografischen Wandel ist das entscheidend.
Der Standort Bocholt war für dich nie verhandelbar – trotz aller Herausforderungen – wie wir aus den Gesprächen mit deinem Sohn Sven, dem geschäftsführenden Gesellschafter von PIERON, wissen. Warum?
Weil es unsere Heimat ist – für uns als Familie, aber auch fürs Unternehmen. Wir sind hier seit 1925. Selbst als die Joint Ventures in den USA 2001 und in China 2005 dazukamen – in Bocholt schlägt unser Herz. Ich wollte, dass wir bleiben, dass wir investieren, aber mit Maß. Nicht laut, nicht großspurig – sondern bodenständig, so wie wir sind.
Gisela, der zu Interviewenden gebührt das letzte Wort: Wenn du auf all das Erlebte zurückblickst – was sollte bleiben und bestenfalls zum Nachdenken, Umdenken, Neudenken inspirieren?
Dass es sich lohnt, Haltung zu zeigen. Das Menschliche und den Menschen nicht aus dem Auge zu verlieren. Dass Führung nichts mit Lautstärke zu tun hat, sondern mit Klarheit. Und dass man als Frau nicht härter sein muss als Männer, sondern einfach ehrlich. Man sollte bei sich bleiben, so wie man ist.
Unsere Bilanz:
Gisela Pieron ist keine Frau der großen Worte – aber ihre Worte tragen. In einer Zeit, in der weibliche Führung noch als Ausnahme galt, hat sie den Weg gewählt, den niemand für sie vorgesehen hatte. Sie hat geführt – nicht mit Härte, sondern mit Haltung. Nicht mit Ellbogen, sondern mit Blickkontakt.
Dieses Gespräch ist mehr als ein Rückblick. Es ist eine Einladung, Führung neu zu denken: auf Augenhöhe, mit Mut und mit einem offenen Herzen.
RESPEKT und DANKE, liebe Gisela, diese Kolumne mit deinen Erfahrungen zu bereichern.
“Verliere das Menschliche und den Menschen nicht aus dem Auge.
Führung hat nichts mit Lautstärke zu tun hat, sondern mit Klarheit.
Behandele die Menschen stets so,
wie du selbst gerne behandelt werden würdest.“
Gisela Pieron