Warum die Young-Generation plötzlich wieder Tagebuch schreibt, Polaroids klebt – und sich dem Moment hingibt
Text: Kirsten Buß
Prolog:
Nach der „Papierliebe“ aus der letzten PAN-Ausgabe Mai & Juni, freue ich mich auf diese ungeplante Fortsetzung, die sich wie von selber ergeben hat. In unserer schnell getakteten Welt erleben wir einen kleinen, stillen Gegenentwurf zur digitalen Welt – und er kommt nicht etwa aus meiner Generation,
sondern von ganz jungen Menschen. Ich durfte ihnen zuhören, wie sie erzählen, wie sie Tagebuch schreiben, Polaroids kleben, sich Zeit nehmen. Für Gedanken, für Papier, für sich selbst.
Was auf den ersten Blick wie Retro klingt, ist in Wahrheit ein ersehnter Trend: eine Rückbesinnung auf das Wesentliche. In diesem Artikel erzähle ich von diesem Erlebnis bei Freunden, von Eindrücken – und vielleicht auch ein bisschen von meiner eigenen Sehnsucht. Nach einem Sommer, der nicht auf Likes wartet, sondern einfach gelebt werden darf. – Ein analoger Sommer. Ohne Eile, ohne Dauerbenachrichtigungen. Dafür mit Tinte, Tape, Papier und echten Fotos und Momenten, die nicht durchs Filterkarussell geschoben werden müssen.
Neulich, bei einem dieser ersten lauen Abende im Garten, saß ich mit Freunden und ihren inzwischen erwachsenen Kindern am Tisch. Es ging – wie öfter in letzter Zeit – um das, was bleibt. Um das, was echt ist. Und dann sagte Lotta (Mitte zwanzig) plötzlich, während sie in einem handgebundenen Notizbuch blätterte: „Ich hab mein Handy zwar dabei, aber ich hab mir diesen Sommer vorgenommen, es liegt oft mit dem Display nach unten.“
Was für ein Satz. Ich war platt! Und auch das, was danach kam fand ich echt toll.
„Ich hab mein
Handy zwar dabei, aber ich hab mir diesen
Sommer vorgenommen, es liegt oft mit dem
Display nach unten.“
Sie erzählte von Polaroids, die sie an einer Wäscheleine über dem Bett aufhängt. Von einem Reisetagebuch, das sie führt – nicht für den Blog, nicht für Follower, sondern einfach für sich. Vom Gefühl, mit der Hand zu schreiben. Vom Wert der eigenen Gedanken, wenn sie nicht geteilt werden müssen.
Ich höre in letzter Zeit öfter solche Dinge. Von jungen Menschen, die sich zurücknehmen – und dabei irgendwienäher bei sich selbst sind. Die bewusst auf den Bildschirm verzichten, nicht aus Technikfeindlichkeit, sondern aus Sehnsucht nach Stille. Und Klarheit. Und Echtheit. Sie
DETOXEN DIGITAL – Verrückt!
„Analoger Sommer“, denke ich. Das ist es.
Ich selbst bin mit Papier groß geworden. Tagebuch, das Durchdrücken eines Füllers, das Gefühl, wenn man sich verschreibt und es einfach stehen lässt, durchstreicht oder den Tintenkiller benutzt. Mich hat diese neue, junge Bewegung überrascht – oder vielleicht besser, berührt. Weil sie nicht nur etwas Nostalgisches hat, sondern auch Konsequenz. Die Generation, die mit WLAN und Smartphones aufgewachsen ist, entdeckt das Analoge als Haltung. Nicht aus romantischem Rückblick – sondern aus Bedürfnis.
Was hier entsteht, ist kein Trend. Es ist ein Gegenpol. Zum Tempo. Zum Digitalen. Zum Dauer-Performen. Diese jungen Stimmen zeigen mir: Tagebuch schreiben ist kein Rückschritt. Es ist Selbstfürsorge. Polaroids sind keine Retro-Spielerei. Sie sind Momentaufnahmen ohne Wiederholung. Und ein Notizbuch fragt nicht nach Followern und WLAN – es fragt: „Was denkst du wirklich?“
Ich bin beeindruckt, wie selbstverständlich diese Generation ihren ganz eigenen Weg findet, mit dem Überfluss umzugehen. Sie schreiben wieder. Sie zeichnen. Sie pressen Blumen zwischen Buchseiten. Sie falten Briefpapier und schreiben sich selbst Nachrichten auf Zettel und Papier in ihre die Zukunft… Nicht alles muss geteilt werden. Nicht alles muss perfekt sein. Manches darf einfach sein.
Diese Haltung ist leise, aber klar. Sie sagt: Ich mache das nicht für Likes. Ich mache das, damit etwas bleibt
Vielleicht wird dieser Sommer für viele kein „lauter“. Kein durchgestylter. Vielleicht ist er ein bisschen „unfotogen“ oder auch „verwackelt“. Aber dafür – und das glaube ich ganz fest – wird er für diese, die das für sich entdeckt haben, echt.
Und wenn der September kommt, werden sie nicht zurückscrollen. Sie werden blättern. In Seiten, die nach Sonne „riechen“. In Bildern, die nicht gefiltert sind. In Worten, die sie nur für sich geschrieben haben. Und sie werden spüren, was wir alle manchmal vergessen: Wir leben tatsächlich nicht nur für den digitalen Content. Wir leben für echte Erinnerungen.
Lotta:
Ich bin 25, aufgewachsen mit WLAN, Insta und WhatsApp. Aber diesen Sommer schreibe ich Tagebuch. Richtig, mit der Hand. In ein Notizbuch, das nach Struktur riecht und klingt, wenn man die Seiten umblättert. Ich klebe Polaroids ein, die nicht perfekt sind, aber wahr. Ich zeichne, kritzle, notiere – einfach, weil es sich gut anfühlt.
Für mich ist das kein Rückschritt. Das ist irgendwie Selbstschutz. Und vielleicht sogar Stil. Denn während mein Insta-Feed mich oftmals anschreit, wie ich zu sein habe, flüstert mir mein Notizbuch: „Du darfst einfach du sein. Geht keinen was an.“ Mit Sonnenbrand auf der Nase und Kringel-Schrift mitten auf der Seite.
Warum das plötzlich wieder ein Ding ist? Weil das Leben offline ehrlicher ist. Weil handgeschriebene Worte mehr bedeuten. Weil kein Algorithmus der Welt Gefühle sortieren kann. Ich hab aktuell keine Bock mehr für Likes zu posten und zu schreiben. In einer Zeit, die sich wie früher anfühlt – so wie aus dem Fotoalbum von meinen Eltern oder auch Großeltern.
Auch die Fotos von mir, die ich mache, ändern sich. Kein Hochglanz, keine 100 Wiederholungen mit der Handykamera und fette Filter drüber und so. Ein Klick mit der Polaroidkamera – und das war’s. Lichtspur, Nasenschatten, echte Stimmung. Polaroids sind das Gegenteil von der Perfektion, die mich oft stresst. Und gerade deshalb hängen sie an meiner Wand, am Spiegel, an der Wäscheleine über meinem Bett. Weil sie zeigen: Das war jetzt. Unwiederholbar. Ich mag das …
Es fühlt sich für mich so an, als hätte unsere Generation aktuell genug davon, alles zu optimieren. Wir sammeln Momente statt Content. Und wir merken, das tut gut.
Was hier passiert, bleibt auf Seite xy. Zwischen Sonnencremeflecken und Eselsohren. Zwischen gepressten Blüten und Kinotickets. Mein Sommerfahrplan soll diesbezüglich werden, wie ein Moodboard zum Anfassen.