Die Freude an der Haltung von Kleinsäugern wie Kaninchen, Meerschweinchen und Co nimmt in der Gesellschaft weiterhin zu. Folglich boomt das Geschäft mit Waren zur Unterbringung und zur Fütterung der kleinen Käfigtiere und es bleibt kein Wunsch offen. Eine besondere Herausforderung für Heimtierhalter ist jedoch die Beurteilung des Gesundheitszustandes, denn eines haben alle Kleinsäuger gemein: Krankheiten bleiben oft lange unentdeckt, da diese Tierarten frei nach dem Motto „Survival of the fittest“ Leiden sehr gut kaschieren. Wie Sie die Gesundheit Ihres kleinen Hopplers beurteilen können und was in der Tierarztpraxis bei Verdacht auf Ohrproblemen getan werden kann, das erfahren Sie beim Weiterlesen.
In der freien Natur sind die Hasenartigen auf ein feines Gehör angewiesen, um Feinde schnell ausmachen zu können und die Flucht zu ergreifen. Aber gerade Kaninchen wurden in den letzten Jahrzehnten sehr stark züchterisch verändert, sodass inzwischen eine Vielfalt an Farben, Größen und Formen zu haben ist. Leider haben sich bei der Zuchtauswahl Rassen entwickelt, die wir Heimtierärzte als Qualzucht betiteln müssen und deren Leiden auf den ersten Blick oftmals schwer entdeckt werden. Ein typisches Beispiel für die eingeschränkte Ohrengesundheit sind die Widderkaninchen, deren Lauscher seitlich am runden Köpfchen hängen, sodass ihr Ausdruck dem Kindchenschema entspricht. Dem Knickohr fehlen Knorpelanteile im Gehörgang, sodass die Ohren nicht aufgestellt werden können. Bekanntlich bildet jedes Ohr Ohrschmalz, der bei dieser anatomischen Besonderheit – wie bei einem abgeknickten Wasserschlauch – nicht abfließen kann und stetig Richtung Trommelfell gedrückt wird. Das feine Häutchen kann dem dauernden Druck nicht standhalten und gibt schließlich nach, sodass das Sekret ins Mittelohr gelangt und hier starke Entzündungssymptome auslöst.
In der Tierarztpraxis besteht ein erster Verdacht auf eine Ohrenerkrankung, wenn während der klinischen Untersuchung viel Schmalz im Gehörgang gesehen wird. Bei der Tastuntersuchung kann eventuell eine Druckempfindlichkeit am Schädel oder sogar eine Vorwölbung unter dem Ohreingang gefunden werden. In fortgeschrittenen Fällen zeigen die Tiere neurologische Ausfälle wie eine hochgezogene Lippe, eine Kopfschiefhaltung oder laufen sogar im Kreis. Erstaunlicherweise fressen die Patienten trotz der heftigen Entzündung, sodass die Besitzer sich kaum vorstellen können, dass eine schlimme Erkrankung mit schlechter Prognose hinter den Symptomen steckt.
Noch vor wenigen Jahren war das Wissen der Tierärzte über die Ohrenleiden beim Kaninchen und auch die Ohrdiagnostik sehr eingeschränkt. Inzwischen schließen spezielle Fortbildungen die Wissenslücken, um den Fellnasen besser helfen zu können. Darüber hinaus ermöglichen neue Techniken in der 3D-Bildgebung die genaue Untersuchung des Schädels bei Klein- und Heimtieren. Die Ohruntersuchung im Cone Beam Computertomographen (CBCT) ist bei Kaninchen sogar als Wachscan möglich, sodass die Kosten und Risiken einer Anästhesie entfallen. In Internetforen wird diese Bildgebung „Widderuntersuchung“ genannt, aber natürlich kann eine Beurteilung der Ohren auch bei anderen Rassen sinnvoll sein. Beispielsweise sind hier die Zwerge zu nennen, deren Ohren teils sehr klein, mit einem rudimentären Gehörgang angelegt sind. Auch hier ist ein Abfluss des Ohrschmalzes schwer möglich. Übrigens können Mittelohrentzündungen auch beim Schnupfer durch eine aufsteigende Infektion entstehen. Aus diesem Grunde empfehle ich in meiner Sprechstunde spätestens nach einem misslungenen Therapieversuch eine Bildgebung in unserem CBCT. Ein großer Vorteil der 3D-Bildgebung ist, dass der ganze Schädel inklusive der Nasen- und Kieferhöhlen, Zähne und der Kiefergelenke beurteilt werden kann (Abbildung 1). So können Probleme schnellstmöglich sichtbar gemacht werden.
Die CBCT-Befunde bei Ohrenpatienten können erschreckend sein und manchmal müssen die Tierbesitzer die neuen Erkenntnisse erstmal verarbeiten. Bei manchen Tieren kann über eine Ohroperation nachgedacht werden. Bei anderen Tieren ist der Zustand so weit fortgeschritten, dass nur noch eine palliative Therapie diskutiert wird. Letztendlich entscheidet der Besitzer mithilfe der tierärztlichen Beratung für sein Tier, welchen Weg er mit seinem Langohr gehen möchte. Unumstritten ist allerdings, dass nur anhand einer detaillierten Bildgebung eine klare Diagnose gestellt werden kann. Das bestätigt auch mein Fallbeispiel, von dem ich zum Schluss berichten möchte: Die gut informierten und weit gereisten Besitzer kamen zur „Widderuntersuchung“ in meine Praxis. Im Schnittbild (Abbildung 2) sind die mit Schmalz gefüllten Gehörgänge gut zu erkennen. Allerdings hat auf der einen Seite das Trommelfell nachgegeben, sodass sich eine heftige Mittelohrentzündung entwickelt hat. Ob ein Operationsversuch in so einem fortgeschrittenen Stadium sinnvoll ist, muss in Ruhe erörtert werden, da eine einfache antibiotische Behandlung aufgrund der besonderen Anatomie nicht ausreicht.
Haben Sie Fragen zur Haltung von Kleinsäugern oder zur Untersuchung im CBCT? Dann rufen Sie uns gerne an und vereinbaren einen Termin in der Sprechstunde. Bis dahin wünsche ich Ihnen eine gute Zeit im tristen November. Halten Sie die Ohren steif, bis Sie in meinem nächsten Artikel „Hilfe, mein Tier trinkt zu viel“ wieder von mir hören.
Ihre Dr. Simone Möllenbeck
3D-Rekonstruktion eines Kaninchenschädels
Transversalschnitt aus einer Untersuchung eines Zwergwidders im CBCT. Links das an Mittelohrentzündung erkrankte Ohr. Rechts das Ohr dessen Gehörgang nur bis zum Trommelfell mit Schmalz gefüllt ist.
Dr. Simone Möllenbeck
Zusatzbezeichnung Zahnheilkunde
Zusatzbezeichnung Heimtiere
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