Fotos: Kirsten Buss // Text: Roland Buss
Inside-Storys zum Kulturquartier Bocholter Aa und Industriestraße
Für die einen der Ansatz einer Zwischenbilanz | Für die anderen eine Hommage an die Hauptschlagader unserer Stadt
– die Bocholter Aa
Prolog
Wir knüpfen an, an die letzten Zeilen unserer „Geteilten Gedanken“ in der zurückliegenden Juni-Ausgabe des PAN. Auf Seite 21 endeten wir mit dem Versprechen:
In den kommenden Ausgaben werden wir weitere konkrete Bilder zeichnen, wie sich die Gebiete entlang unserer „Hauptschlagader“ Bocholter Aa entwickeln – und dies wertschätzend, wie ihr es von uns gewohnt seid, wie es unserer DNA entspricht.
https://pan-bocholt.de/geteilte-gedanken-prolog/
Um dieses Versprechen an euch Leserinnen und Leser einzulösen, schien es naheliegend, an unsere Moving-Interview-Session mit Daniel Zöhler anzuknüpfen, die in unserem Bike-Magazin Der RADius nachzulesen ist: https://derradius.de/moving-interview-session-mit-dem-stadtbaurat
Wer wäre der richtige Sparringspartner für eine KuBAaI-Interview-Session, am liebsten walkend durch das besagte Gelände? Fragen wir einfach den Ersten Bürger
dieser Stadt:
WhatsApp-Austausch | Samstag | 01.06.2024
Guten Morgen Thomas. Wir würden gerne in der kommenden Ausgabe (25 Jahre PAN) einen zusammenhängende, aktuelle Story zum Leben, Arbeiten etc. an der Aa (mit dem Fokus auf KuBAaI) mit unseren Leserinnen und Lesern teilen. Am liebsten mit einem Walking-Interview … ähnlich, wie seinerzeit beim BikeMagazin.
Wie schaut es? Wer wäre der richtige Interview-Partner?
Thomas Kerkhoff: Hab da schon eine Idee. Lass uns dazu mal Anfang der Woche telefonieren. Beste Grüße Thomas.
Zeitsprung | Montag | 03.06.2024 Das Café – Imping
Während ich mich bei einer Tasse Cappuccino mit ein paar Morgenzeilen warmschreibe, schäkert Fellnase „Paula“ mit den Service-Ladies – bis Britta ihr eine Scheibe Fleischwurst aus der Küche zusteckt. Mein Handy bimmelt:
Thomas Kerkhoff: Guten Morgen, Roland. Passt es gerade bei Dir?
Könnte etwas laut sein im Hintergrund. Ich sitze im Café Imping …
Dann sitze ich über dir – in der Stadtsparkasse. Wir haben gerade Meeting-Pause. Soll ich eben runterkommen, dann können wir persönlich sprechen?
Gerne.
Gesagt, getan. Am Ende unserer Cappuccino-Time waren die Interviewpartner gekürt – deren Einverständnis vorausgesetzt. Ulrich Paßlick, der Stadtbaurat a. D. …
sozusagen als „geistiger Vater“ des KuBAaI. Obwohl ihm das zu hoch gegriffen ist, wie wir später noch erfahren werden.
Und Udo Geidies, als dessen Sparringspartner, der zum 31. Juli. 2024 seinen wohlverdienten Ruhestand antreten wird … der zurzeit aber in der Bretagne unterwegs sein sollte, was einem zeitnahen Einfangen seiner Originaltöne im Wege stehen würde. Aber … vom Hörensagen wussten wir bereits, dass dieses Projekt größere Herausforderungen in sich barg und immer noch birgt, als ca. 966 Kilometer Entfernung zur Bretagne. Ein „Kreuzverhör“ mit beiden empfohlenen Zielpersonen hätte ich spannend gefunden. Aber getrennt voneinander durchgeführte Interviews in unterschiedlichen Settings haben ebenfalls einen besonderen Reiz.
Beide Gesprächspartner erklärten noch am gleichen Tag ihre Bereitschaft für ein gemeinsames Erinnern an dieses Leuchtturm-Projekt KuBAaI.

Bild-Quelle: www.bretagne-tip.de/sehenswuerdigkeiten/nantes-umgebung/pornic/
Eine Videokonferenz mit der Bretagne
Dienstag | 11. Juni 2024 | 10.30 Uhr | Zoom-Meeting-Raum 715 150 8726 | Irgendwo im virtuellen Raum zwischen der Bretagne und Bocholt | Interview-Session mit Udo Geidies
Guten Morgen Udo, wo erreiche ich dich gerade?
Den regelmäßigen Hörern des Podcasts Lanz & Precht wird dieser Einstieg bekannt vorkommen. Während Richard David Precht in der Regel mit „in meiner Kemenate“ antwortet, womit ein Denk- und Schreibraum in seinem Wohnsitz in Solingen gemeint ist, antwortet Udo: In einem Ferienhaus in der Bretagne … in der Nähe von Nantes, der Ort heißt Pornic. Dir sind bereits eine Woche unterwegs. Wir sind in Metz gestartet, haben eine Zwischenstation an der Loire eingelegt und sind jetzt seit zwei Tagen hier direkt an der Küste.
Die Gegend ist berühmt für Meeresfrüchte … ist das was für dich/euch?
Ja, unbedingt, wir probieren alles, was regional typisch ist.
Bier oder Wein dazu?
Wir sind eher Weintrinker. Aber hier so abends am Strand, wenn die Sonne untergeht … gerne auch schon mal ein Bier.
In der Folge erfragte ich ein paar Hardfacts zu Udo und seiner Vita:
Baujahr 1956 | Zugezogener Langzeit-Bocholter – seit fast vier Jahrzehnten | Studierter Geodät | Vermessungs-Oberrat | Projektleiter in einer Koordinierungsstelle beim Baudezernat – eine Stabsstelle, die dem Stadtbaurat zugeordnet ist
Was machst Du, wenn du nicht im Projekt KuBAaI oder mit deiner Frau in der Bretagne unterwegs bist?
Ich bin immer noch als Fußballtrainer im Jugendbereich aktiv.
Und ab diesem Sommer der neue Coach für die U19 des 1. FC Bocholt.
Das ist richtig.
Hast du früher selbst gekickt? Und wenn ja, auf welchem Niveau und welcher Position?
Ich habe für Hamm in der dritten Liga gespielt. Das war die höchste Amateurliga – ungefähr vergleichbar mit dem 1. FC Bocholt heute. Meine Positionen waren der sogenannte „6-er“ und der Innenverteidiger.
Zeitsprung | Von der Bretagne zurück nach Bocholt
Donnerstag | 13. Juni 2024 | 16.00 Uhr | Bocholt | Münsterstraße 12 | Meetingraum des MÜ12 Verlages | Interview-Session mit Ulrich Paßlick
Herr Paßlick, Sie haben eine Eule als Statusbild auf WhatsApp, gibt es dazu eine Geschichte?
Das ist ein Steinkauz, den ich im Reyerdingsvenn in Hemden fotografiert habe. Nicht zu verwechseln mit dem komischen Kauz, der ihn als Profilbild missbraucht 😉 – ein Hinweis auf meine Passion für die Ornithologie (Anm.: Vogelkunde). Ich habe noch zwei Brüder. Unser Vater ist früher oft mit uns in den Wald gezogen, um uns die Natur näherzubringen. Er hat in mir etwas angelegt, das mich mein ganzes Leben begleitet.
Ich habe vorgestern mit ihrem ehemaligen Mitarbeiter Udo Geidies gezoomt, der derzeit in der Bretagne weilt …
Udo war einer meiner Lieblingsmitarbeiter, auch wenn man das eigentlich nicht sagen sollte.
Hier schon, wir mögen es gerne unplugged. Starten wir mit ein paar Hardfacts zu Ihrer Person?
Gerne.
Skizzierung der Antworten …
Baujahr 1957 | In Münster geboren | Eltern stammen aus Ochtrup – der dortige Stammbaum der Familie Paßlick lässt sich bis ins Jahre 1478 nachverfolgen – von
daher: überzeugter, waschechter Westfale | Studium der Raumplanung in Dortmund | Referendariat in Münster und Berlin | Angestellt bei einem Architekturbüro zwischen Bielefeld und Osnabrück | Mit 27 Jahren Leiter des Bauamtes in Rees | Mit 35 Jahren Stadtbaurat (bzw. Technischer Beigeordneter) in Bocholt | Nach drei Amtsperioden (24 Jahren) im Jahre 2016 auf eigenen Wunsch aus dem Amt verabschiedet | Seitdem Geschäftsführer der Beratungsfirma UP Urban Projects GmbH … und … im Aufsichtsrat der Montag-Stiftungen Bonn, die sich der gemeinwohlorientierten Stadtentwicklung widmet
Das klingt nicht nach Ruhestand. Was treibt Sie neben Ihrem fortgesetzten Engagement für Stadtentwicklung, den Käuzen und anderen Vögeln um?
Ich mache gerne Musik, ich spiele Gitarre und Klavier … ab und zu auch mit Freunden. Meine Frau und ich sind ein paarmal im Jahr mit unserem Wohnmobil unterwegs. Zudem besuchen wir gerne unsere Söhne, die im Ausland leben.
Herr Paßlick, sind Sie bereit, mit mir ins Kapitel KuBAaI einzutauchen?
Sehr gerne.
Hinweis
Im Folgenden findet ihr, liebe Leserinnen und Leser, den Versuch einer lesegeschmeidigen Vermählung der beiden zeitversetzten Interview-Sessions mit Udo Geidies und Ulrich Paßlick. Bei der Niederschrift fiel mir auf, dass es für euch und mich einfacher gewesen wäre, wenn ich beide mit du oder Sie angesprochen hätte. Jetzt könnte es ein wenig holprig zu lesen sein – aber … als gendersible Gesellschaft bekommen wir das gemeinsam schon hin 😉

KuBAaI | Wurzeln
Udo, schlagen wir den Bogen zum KuBAaI … seit wann bist du im Team für dieses Projekt?
Udo Geidies: Das begann etwa 2008/2009. Zu der Zeit bin ich immer mehr in das Projekt reingewachsen, das damals aber noch nicht KuBAaI hieß.
Wie dürfen wir Ulrich Paßlick in diesem Projekt einschätzen?
Udo Geidies: Er war derjenige, der das Projekt nach außen vertreten hat … und dies mit einer Stabilität, die vielleicht sein Markenzeichen ist. Er hat allen Widerständen … bis hin zu Anfeindungen getrotzt. Er hat an die Grundidee des KuBAaI geglaubt und das auch im politischen Bereich durchgesetzt mit den Worten „So, das ist jetzt das KuBAaI und das wird Geld kosten.“
Herr Paßlick, wie sind Sie an dieses Projekt KuBAaI gekommen?
Ulrich Paßlick: Die Wurzeln reichen zurück bis in mein Studium – Raumplanung ist ein interdisziplinärer Studiengang, in dem alle Fachrichtungen sich vereinen, wie z. B. Regionalplanung, Stadtplanung, Landesplanung, Umweltplanung. Alles, was ich später in meinem Beruf gut gebrauchen konnte.
Bevor ich mich entschied, mich als Stadtbaurat in Bocholt zu bewerben, habe ich das getan, was ein gut ausgebildeter Städtebauer immer macht: Ich habe mir die Struktur von Bocholt angeschaut, bin in deren Geschichte eingetaucht, um eine Idee davon zu bekommen, was diese Stadt ausmacht.
Bocholts Innenstadt wurde seit dem Mittelalter durch diese schöne Lage an der Aa geprägt. Unsere Stadt erwuchs aus einem Stück Land an einer Furt durch die Aa. Die Möglichkeit, diese dort auch bei schlechtem Wetter zu queren, ließ die ersten Menschen an dieser Stelle siedeln.
Etwa 800 nach Christus wurde in dieser Siedlung die erste Kirche errichtet. Dort, wo später die Georgskirche erbaut wurde und sich das mittelalterliche Dorf weiterentwickelte – dem im Jahr 1222 die Stadtrechte verliehen wurden. Die Menschen haben sich seinerzeit ganz bewusst für dieses Stück Land und seine Lage entschieden – ohne die Aa gäbe es Bocholt nicht.
Das ist uns im Rahmen unseres Magazin-Projektes RADius erst deutlich geworden, welche Bedeutung die Aa für unsere Stadt hat.
Ulrich Paßlick: Wenn man wie ich, als damals Außenstehender, den Blick auf die Stadt richtet, fällt einem auf, dass man in den letzten 150 Jahren nicht gut mit der Aa umgegangen ist. Das war zweifellos der Textilindustrie geschuldet, die sich dort angesiedelt hatte – das war um 1856 rum. Man konnte der Aa Produktionswasser entnehmen … zum Färben, zum Kühlen etc. Aber man nutzte sie auch zum Entsorgen – zu einem Zeitpunkt, als es noch keine Kanalisation gab.
Okay, das war also die Erkenntnis, was waren Ihre Schlüsse daraus?
Ulrich Paßlick: Mein Ziel war es, die Aa wieder ins Stadtbild zu integrieren und die Aufenthaltsqualität an ihr deutlich zu verbessern. In Bocholt gab es keine große, zusammenhängende Grünfläche, wie in Münster zum Beispiel. An der Aa entlang, dort sah ich das Potenzial, eine lineare Grünfläche zu schaffen. Das haben wir als Stadtentwickler dann in den Fokus genommen.


Bild-Quelle: https://wiki.genealogy.net/Datei:Bocholt1793.jpg
Wie sind Sie konkret ins Handeln gekommen?
Ulrich Paßlick: Die Qualität eines Stadtbaurates bemisst sich immer an zwei Faktoren: An dem, was er zulässt … und an dem, was er verhindert. Wenn es der Stadt langfristig nutzt, sich zu entwickeln, ist es gut. Und wenn es der Stadt schadet, dann muss man alles unternehmen, um diese Fehlentwicklung zu verhindern. Eine solche Fehlentwicklung hat immer eine Halbwertzeit von mindestens 100 Jahren. Wenn einmal irgendwo etwas gebaut ist, dann reißt du das nicht nach 20 Jahren wieder ein. Diese Gedanken haben uns begleitet, als wir uns erst einmal darauf konzentriert haben, der Aa mehr Raum zu geben. So auch beim Bau der Arkaden, als wir gemeinsam mit dem Investor dafür gesorgt haben, dass die Promenaden Perbreitert werden, um dort zu flanieren. Diese Gedanken haben uns geleitet. Es war uns auch wichtig, Gelegenheiten zu schaffen, wo die Menschen sich niederlassen können, um auf die Flusslandschaft zu schauen. Vor diesem Hintergrund ist auch das bügeleisenförmige Gebäude dort entstanden.
Das heutige Café Extrablatt …
Ulrich Paßlick: Genau. Einkaufen, sich erholen, Freunde treffen, genießen – und alles mit der Möglichkeit eines beruhigenden Blickes in die Landschaft – das waren die Bilder, die wir vor unseren Augen hatten. Ein unheimliches Pfund, das man nutzen sollte.
Wie wurde aus diesem Pfund, wie sie es nennen, das Projekt KuBAaI?
Ulrich Paßlick: Mein persönlicher Schlüsselmoment resultiert aus einem Termin bei der damaligen Firma Hammersen. Als ich dort war, sah ich, wie deren Textilmaschinen abgebaut und verpackt wurden, um sie nach Pakistan zu verschiffen. Ich wurde ungewollt Augenzeuge der Abwicklung der Textilindustrie, die die Bocholter Bürgerinnen und Bürger über 150 Jahre in Brot und Lohn gehalten hatte.
Ein Hinweis auf den Strukturwandel?
Ulrich Paßlick: Den wir zur richtigen Zeit wahrgenommen haben. Wenn du ihn schon nicht positiv beeinflussen kannst, dann musst du zumindest dafür sorgen, dass die Bereiche so entwickelt werden, dass sie dem Gemeinwohl, sprich dem Interesse der Bürgerschaft entspricht.
Uns war klar, dass wir anstreben sollten, eine Verbindung zwischen dem Aasee und der Innenstadt zu schaffen … und auch in die andere Richtung … zum heutigen Weberquartier.
Wir wollten der Aa mehr Luft geben, mehr Grünflächen schaffen … quasi als grünes Rückgrat … als grüne Lunge unserer Innenstadt.
Wann war der Startschuss?
Anfang 2001… also unmittelbar nach der Jahrtausendwende, habe ich meine Überlegungen zum ersten Mal im Rahmen einer Klausur des Verwaltungsvorstandes vorstellen dürfen. Die Vision: Ein urbanes Quartier zwischen Innenstadt und Aasee. Ein Ort für Wohnen, Arbeiten, Kultur und Bildung. 25 Hektar Zukunft – inmitten der Stadt.

Nach dem, was wir bislang wissen, ist das Projekt KuBAaI dann von Ihnen strategisch und mit einer bewundernswerten Ruhe nach vorn getrieben worden. Wann haben Sie persönlich sagen können „Wir haben jetzt einen Plan – und den setzen wir um“?
Ulrich Paßlick: Das war der städtebauliche Rahmenplan, so wie er hinter Ihnen am Bord hängt. Er ist das Ergebnis eines Ideenwettbewerbes aus dem Jahre 2009. Den hatten wir europaweit ausgeschrieben. Das Büro Pesch Partner ging seinerzeit als Sieger daraus hervor. Zweiplatzierter war das Büro SeARCH aus Amsterdam. Da uns eine Kombination aus beiden Plänen als Ideallösung für Bocholt erschien, haben sich beide Büros zu einer „Zwangsehe“ überreden lassen
😉
https://www.sqb-bocholt.de/sites/default/files/attachment/kubaai_Gestaltungshandbuch.pdf
Wie ging es weiter?
Ulrich Paßlick: Wir sind mit diesem Plan und ein paar Perspektiven an die Öffentlichkeit gegangen. Es war nicht so, dass wir mit Konfetti beworfen wurden … also keine einfachen Spaziergänge. Es gab zum Teil sehr verhaltene Reaktionen aus der Politik und zum Teil heftigsten Widerstand von Mietern in dem Gebiet. Auch einzelne Personen aus der damaligen Medienlandschaft haben massiv gegen das KuBAaI geschrieben.
Wir haben uns aber nicht entmutigen lassen. Mit „wir“ meine ich Udo Geidies, Andrea Döring mit dem gesamten Planungsamt und Reinhold Wilke, der sich damals um die grünen Belange kümmerte. Richtigerweise sollte ich alle rund 250 Menschen namentlich aufzählen, die am und im KuBAaI-Projekt gearbeitet haben.
Was haben Sie unternommen, um gegen den Wind der Entrüstung anzusegeln?
Ulrich Paßlick: Wir haben die Menschen durch das Gelände geführt. Ein Gebiet, das seit 150 Jahren von niemandem betreten werden konnte, außer den MitarbeiterInnen der Textilfabriken. Ich habe diese Termine genossen, sie waren zwar immer am Feierabend oder am Wochenende, aber man konnte die besagte Stecknadel fallen hören. Vielen wurde deutlich, was in diesem riesigen Gelände für Chancen stecken. Zum Ende hin sind wir immer nach oben auf das Herding-Gebäude gestiegen. Wir haben von oben die vielen Sched-Hallen gesehen… den Blick in Richtung Aasee und unsere Kirchen schweifen lassen. Da wurde den Teilnehmern klar, was das für eine großartige Lage ist. Die Gegner, die nicht zu diesen Aufklärungsterminen kamen, haben natürlich weiter gegen KuBAaI gewettert, weil sie nicht wussten, worum es ging. Aber … man muss auch nicht den Anspruch haben, dass man jeden überzeugen kann.
Wer war eigentlich der geistige Vater dieses Namens KuBAaI?
Udo Geidies: Den habe ich ersonnen. Er war ursprünglich als Projekt-Titel gedacht, damit das Areal, über das wir sprechen, ein wenig griffiger wird. Wir brauchten seinerzeit etwas Plakatives, auch für den Bewerbungsprozess rund um die Regionale. Dass sich der Begriff KuBAaI über die Dauer hält und etabliert, hatte ich eigentlich nicht erwartet.
Ulrich Paßlick: Das stimmt, das war die Idee von Udo. Unser damaliger Arbeitstitel war viel zu kompliziert und zu sperrig. Als ich seinerzeit aus einem Urlaub
zurückkam, lag der von Udo erdachte Name KuBAaI auf dem Tisch. Ich finde das toll, wie der sich eingebürgert hat und heute nicht mehr wegzudenken ist.

Foto: Stadt Bocholt
Aus Marketing-Gesichtspunkten eine Punktlandung … wie wir finden. Aber … wo fängt KuBAaI an, und wo hört es auf?
Udo Geidies: Da werden unterschiedliche Auslegungen gehandelt. Eigentlich endet KuBAaI hinter der versunkenen Brücke in Richtung Innenstadt.
Udo, bevor wir gleich gemeinsam in die einzelnen Facetten des Projektes eintauchen … gab es ein Lieblings-Momentum im Laufe der letzten 16 Jahre – seit der Zukunftswerkstatt im Jahre 2008?
Udo Geidies: Es fällt mir echt schwer, deine Frage zu beantworten. So in der Retrospektive gab es viele Ereignisse, die diesen Begriff möglicherweise verdient hätten. Aber für mich war es eigentlich jeder Meilenstein, wo wir merkten: „Hat geklappt … wir sind wieder einen Schritt weitergekommen.“
Möglicherweise gilt auch hier der Satz: „Der Weg ist das Ziel“?
Udo Geidies: Ja …
Oder wir schlagen noch mal den Bogen zum Fußball … wo man durch jeden erklommenen Tabellenplatz eine größere Genugtuung in Richtung Tabellenspitze erfährt?
Udo Geidies: Genauso ist das, ein durchaus passendes Bild für mich.
Herr Paßlick, gab es für Sie einen Moment der Glückseligkeit im Projektverlauf, an den Sie sich gerne erinnern?
Ulrich Paßlick: Das war sicherlich der Moment, als wir die Bestätigung bekamen, dass das KuBAaI das zentrale und komplexeste städtebauliche Vorhaben im Rahmen der Regionale 2016 war… im sog. Zukunftsland – neben dem tatsächlichen Eingang der Förderbescheide. Da war klar, jetzt kommen wir vom Planen ins Umsetzen. Pläne sind zwar schön, die können aber auch 30 Jahre ein Büro zieren, ohne dass etwas passiert.
Wohl war. Hinter mir hängt eine Collage für unseren Jubiläumsplan … mit vielerlei Post-its. Wie darf ich mir Ihren KuBAaI-Plan in Ihrem damaligen Büro vorstellen? War der ähnlich kreativ verunstaltet 😉 … so mit Markierungen wie „verhaftet“ … „Danger-Zone“ oder Ähnlichem?
Ulrich Paßlick: Mein Plan war eher clean. Ich kannte ja die einzelnen Bausteine. Apropos Bausteine … zu den schönen Momenten würde ich auch die jeweiligen Vertragsunterzeichnungen mit den Eigentümern zählen.
Wollen wir diesen bedeutenden Momenten Raum geben …
Ulrich Paßlick: Sehr gerne. Klaus Herding hat mir einen sehr emotionalen Brief dazu geschrieben. Er hatte verstanden, dass dieses Grundstück und dieses Gebäude nur dann eine Chance haben, in der Geschichte zu bestehen, wenn er sie uns übergibt, weil wir sie für eine öffentliche Nutzung entwickeln wollen – sprich zum LernWerk. Es war ihm wichtig, dass sich die Geschichte der Firma Herding ein Stück weit aus dem Objekt herauslesen lässt. Diese Mischung aus Geschichte und neuer, moderner Nutzung durch möglichst viele Menschen wird auch die nächsten Dekaden überstehen.
Ähnlich verhielt es sich mit der Familie Beckmann (Anm.: IBENA). Die haben es möglich gemacht, dass wir den ganzen hinteren Bereich erwerben konnten, um dort eine riesige Grünfläche zu gestalten – das strategisch fast wichtigste Grundstück.

Foto: Jens Wiegrink

Diner en Blace 2019
Ich mochte den inzwischen verstorbenen Herrn Beckmann sehr. Ein ungemein schlauer Typ, hellwach … auch im hohen Alter. Der interessierte sich für alles. Mit ihm haben wir die ersten Verhandlungen geführt – später dann mit Ralf Beckmann und seiner Frau. Das ist eine Familie, die es über Generationen verstanden hat, die wirtschaftlichen Optimierungsansprüche der eigenen Firma mit dem Gemeinwohl zu kombinieren.
Ohne deren Bereitschaft hätten wir die Podiumsbrücke nicht realisieren können – den Brückenschlag zwischen den beiden Museen, die so bedeutend sind für unsere Wurzeln, mit viel Raum für neue Ideen. Eine Art Living Bridge, mit einem Bücherflohmarkt wie in Paris …
… einem Diner en Blanc …
Ulrich Paßlick: Auch das … da passiert mir bislang noch zu wenig.
Udo, gibt es ein Lieblingsobjekt für dich im KuBAaI-Projekt?
Udo Geidies: Für mich wäre es das LernWerk. Ich bin sicher, dass es sich zu einem Markenzeichen für Bocholt entwickeln wird. So langsam bekommen wir ein
Gefühl dafür, dass dort viel kulturelles und kreatives Leben stattfinden wird.
Die versunkene Brücke hat auch einen ganz besonderen Reiz für mich. Aber … wenn ich mich festlegen soll … bleibe ich beim LernWerk.
Warum überraschte mich seine Antwort nicht? Wer als 68-jähriger demnächst die U19 des großen 1. FC Bocholt trainiert, scheint ein gutes Händchen im Umgang mit Teams und der Jugend zu haben. Naheliegend, dass Udo ein solches Begegnungs-Zentrum wie das LernWerk besonders am Herzen liegen könnte.
Herr Paßlick, auch an Sie die Frage: Haben Sie ein Lieblingsobjekt im KuBAaI-Areal?
Ulrich Paßlick: Von der Symbolkraft ist es die Podiumsbrücke. Und ja, es ist auch das LernWerk, auch wenn ich die Ausführung durch mein Ausscheiden nicht mehr begleitet habe. Das Textilwerk, nebst dem Textilmuseum, finde ich auch grandios. Auch so ein historisches Gebäude, das in einer neuen Funktion in die Zukunft übergeleitet wird.
Genau das ist es, was du als Mensch brauchst – eine gewisse Erdung aus der Historie heraus. Wenn du nicht weißt, wo du herkommst, kannst du auch nicht
wissen, wo du hinwillst. Das ist uns in Bocholt an mehreren Stellen ganz gut gelungen – wir haben jetzt unverwechselbare Orte, die uns an unsere Wurzeln in der Textilindustrie erinnern. Diese sind nicht austauschbar wie irgendwelche Neubauprojekte. NachDENKmäler, kommt mir beim Schreiben in den Sinn. Dass dies komplizierter ist und bisweilen einen längeren Atem braucht, als auf der grünen Wiese neu zu bauen, dürfte auch klar sein.

Blue Hour Walk | kubaai | Montag, 20 Mai 2024: https://www.youtube.com/watch?v=nVZDAF60yxc
Die sprechen sehr oft in der Wir-Form, was ich sehr respektvoll finde. Aber … verwässert das bisweilen nicht Ihre eigene visionäre Leistung – als „Treiber“
dieses Projektes?
Ulrich Paßlick: Du kannst noch so sehr der Treiber sein, aber wenn die anderen nicht mitziehen, hast du ein ernst zu nehmendes Problem. Ich hatte wirklich viele tolle Mitarbeiter: Udo Geidies hatte ich schon erwähnt. Danke auch an Andrea Döring, die inzwischen Stadtbaurätin in Hildesheim ist. Sowohl sie als auch Daniel Zöhler, sowie meine Person … wir kommen alle aus demselben Stall, wir haben alle in Dortmund Raumplanung studiert. Da wird ein solides Grundverständnis angelegt, was man mit einer Stadt macht und was man mit ihr gefälligst nicht macht.
Als ich damals mein Amt hier angetreten bin, haben wir mal die unterschiedlichen Pflasterbeläge in der Innenstadt gezählt. Wir sind auf 32 verschiedene Varianten gekommen – im „Wohnzimmer unserer Stadt“.
Wenn wir uns euren schönen Parkettboden hier anschauen: Stellt euch mal vor, es gäbe zwei Quadratmeter Parkett, daneben ein paar Quadratmeter Laminat … und ein Stückchen weiter fängt der schwarze Beton an. Da fühlt man sich doch nicht wohl. Das ist bei einer Stadt nicht anders als bei einer Wohnung.
Der öffentliche Raum muss eine gewisse Ruhe ausstrahlen, damit die Menschen Freude daran haben, in ihm zu verweilen.
Du musst auch Lust am Gestalten haben. Was ich am KuBAaI gut fand, war diese Mischung aus Grünflächenentwicklung und ökologischer Entwicklung an der Aa. Das deckt sich auch mit einem früheren Hobby von mir. Mein Vater war gelernter Gärtnermeister und später Gartenbautechniker bei der Bahn. Er war dort für Forstwirtschaft und die Entwicklung der bahneigenen Grünflächen zuständig. Logisch, dass eine Eisenbahn Einzug in unseren Haushalt gehalten hatte. Wenn ich früher mit meinem großen Bruder Hermann damit spielte, hat er sich darum gekümmert, dass die Züge richtig auf den Schienen unterwegs waren, während ich mich um die Gestaltung der Landschaften, Tiere, Bäume und Häuser gekümmert habe.
Aufgrund meines rudimentären Insiderwissens zu den drei Paßlick-Brüdern drängte sich folgende Frage auf: Was war mit Markus, durfte der mitspielen?
Ulrich Paßlick: Ne, der war zu klein – der war sechs Jahre jünger als ich.
Wissenswert in diesem Zusammenhang ist, dass Markus der einzige der drei Paßlick-Brüder ist, der über einen eigenen Wikipedia-Eintrag verfügt:
Wikipedia Markus Paßlick: https://de.wikipedia.org/wiki/Markus_Paßlick
Zu Recht, wie ich finde. Als Perkussionist in der Götz-Alsmann-Band, als Ghostwriter für Harald Schmidt usw. scheint er auf den ersten Blick weiter vom Stamm gefallen zu sein als seine Verwaltungs-affinen Brüder – was ich meinem Gesprächspartner offenbarte – der dann weiter ausführte: Markus fing später an, sich an unsere Haustier-Ära anzudocken – er züchtete Tanzmäuse und Schildkröten. Ich wunderte mich über den Fischschwund in meinem Aquarium, bis ich begriffen habe, dass Markus meine Guppys an seine Wasserschildkröte verfütterte.
Auch innovativ … aber Shit happens. Meine Guppys vermehrten sich so stark, dass die Bestände nicht gefährdet waren 😉
Rasanter Themenwechsel – Haben Sie das Gefühl, dass ihre Leistung ausreichend wertgeschätzt wurde bzw. wird?
Ulrich Paßlick: Ja, das habe ich. Bürgermeister Thomas Kerkhoff hat mich in diesem Jahr zur Einweihung des LernWerks eingeladen und mich gebeten, die Entstehungsgeschichte des KuBAaI mit den anwesenden Gästen zu teilen. Das musste er ja nicht machen. Du musst nicht irgendeinen abgehalfterten Altbeamten aus der Versenkung holen, um ihn das erzählen zu lassen. Das hätten Daniel Zöhler und Udo Geidies genauso gut hinbekommen – wobei Daniel Zöhler auf einer Fernreise war, wie ich erfahren habe.
Als positiv denkender Mensch werte ich das als einen Akt des Respekts – nicht als Urlaubsvertretung 😉
Ich habe mich auf jeden Fall über diese Möglichkeit gefreut.
Udo, wie war deine Zusammenarbeit mit dieser „stabilen“ Persönlichkeit Ulrich Paßlick?
Udo Geidies: Die habe ich als extrem positiv empfunden – insbesondere, weil er verlässlich war in dem, was er sagte und tat. Unsere Zusammenarbeit war von
Vertrauen geprägt. Ich wusste, dass er unser Projekt zu 100 Prozent nach außen vertritt und auch dafür einsteht.
Herr Paßlick, was sollten die Menschen dort draußen über Udo Geidies wissen?
Ulrich Paßlick: Udo ist ein bescheidener, sehr ruhiger, strukturierter und sehr schlauer Typ. Wenn ich bilanziere, hat er drei Baudezernenten und fünf Behördenchefs überlebt 😉 Udo ist eine souveräne Allzweckwaffe. Ich habe ihn als Projekt-Koordinator in meinen Stab geholt. Er war Ansprechpartner für alle Projekte, die mehr als ein Amt oder einen Fachbereich betrafen. Udo ist jemand, der die Schnittstellen in Projekten erkennt, und sauber analysiert. Unheimlich kommunikationsstark und … sein ganz entscheidendes Wesensmerkmal war, dass er sich nie aus der Ruhe bringen ließ. Ich habe ihn als Sparringspartner sehr
geschätzt – auch um Probleme gemeinsam zu durchdenken. Du brauchst eine solche Reflexionsebene – wenn du alles mit dir selber ausmachst, bekommst du auf Dauer ein Problem – dann drehst du dich im Kreis.
Bestandteil des Interviews waren auch detailreiche Ausführungen zu Verhandlungen, verschiedensten Fördermitteln und den damit verbundenen Widrigkeiten.
Wegen ihrer Komplexität und der notwendigen Erklärungsbedürftigkeit verzichten wir darauf, diese Hintergründe mit euch zu teilen. Es soll ja eine geschmeidige Story sein, und keine Chronik 😉
Wichtig war Herrn Paßlick aber zu erwähnen, dass die sehr gute und fruchtbare Zusammenarbeit zwischen dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) und der Stadt Bocholt ursächlich für die gute Umsetzung und den Erfolg des KuBAaI sei. Gemeinsam habe man die immensen Zukunftschancen gesehen, die man entweder gestaltet oder auf ewig verspielt.

Foto: Jens Wiegrink
Das Spiel der Kräne | Games of Cranes | Eine andere Sicht auf die Baustelle „7Höfe“: https://www.youtube.com/watch?v=DBSy8t5bkyg
KuBAaI | Status quo
Auf der KuBAaI-Webseite steht „Zukunftsvision tritt auf Stadthistorie“. Wie hoch würdest du deinen eigenen Zufriedenheitsgrad einschätzen – in Bezug auf die ursprüngliche Planung und Mission des Projektes und den heutigen Status quo?
Udo Geidies: Wenn ich so auf alles schaue … liegt dieser Grad bei 80-90 Prozent. Bei dem Rest sprechen wir aber über keine gravierenden Details.
Herr Paßlick, wie zufrieden sind Sie persönlich, wenn Sie heute auf KuBAaI blicken – bezogen auf die damalige Idee?
Ulrich Paßlick: Ich bin sehr zufrieden mit dem, was ich sehe und fühle. Auch weil die nächste Generation rund um meinen Nachfolger Daniel Zöhler das übergebene Projekt respektvoll weiterentwickelt hat.
Kurze Zwischenfrage: Waren die heutigen 7Höfe von Anfang an Bestandteil von KuBAaI?
Ulrich Paßlick: Der Rahmenplan für das KuBAai-Gelände sah von Anfang an auch eine Wohnbebauung auf der Nordseite der Aa vor. Die Wohnbau Westmünsterland konkretisierte mit ihrem Architekten Heiner Farwick das Ursprungskonzept und entwickelte neben der schon im Rahmenplan vorgesehenen geschlossenen Bebauung an der Aa eine gestaffelte Wohnbebauung in 7 Höfen.
Udo … im letzten PAN haben wir mit den 7Höfen den Sachstand im KuBAaI-Nord dargestellt. Das Projekt Toohuus befindet sich im Bau. Dort soll auch noch ein Hotel entstehen, oder? Ist das schon beschlossen und verkündet?
Udo Geidies: Beschlossen ja, verkündet noch nicht. Dann freuen wir uns auf die Details zum Verkünden.
Im Nachgang bilanzierten wir die Übersichtskarte mit allen Storys, die wir im PAN dazu schon geschrieben haben (siehe
Einklapper am Anfang dieser Ausgabe).
KuBAaI | Ausblick
Was fehlt noch an der 100-prozentigen Umsetzung der KuBAaI-Vision?
Udo Geidies: Es gibt noch die vier Baufelder des IBENA-Grundstückes, welches in städtischer Hand ist. Dafür gilt es noch Investoren zu finden, die das in die Umsetzung bringen.
Herr Paßlick, was wäre Ihnen noch wichtig mit Blick auf KuBAaI?
Ulrich Paßlick: Je mehr das Projekt mit Leben gefüllt wird, desto deutlicher wird mir, dass man mit den Freiflächen auf dem IBENA-Grundstück behutsam umgehen sollte. Zum einen fände ich es wichtig, die Sichtachse von der Podiumsbrücke in Richtung Textilwerk/SKYLounge nicht zu verbauen. Und zum anderen sehe ich dort Potenziale, die man möglicherweise besser nutzen könnte, als noch weitere Wohneinheiten zu bauen.
Losgelöst von den facettenreichen Stolpersteinen, die Sie angedeutet haben – gab es einen Stolperbrocken in dem Projekt, den Sie nicht beiseiteräumen konnten?
Ulrich Paßlick: Sie spielen auf das Vogtt-Gelände an …
Dazu hat Udo Geidies Folgendes gesagt …
Udo Geidies: Unser bislang schwierigstes Puzzlestück ist sicherlich das Vogtt-Gelände der früheren Weberei Herding. Der alte Herr Vogtt war für Verhandlungen oftmals schwierig zu erreichen, weil er im Ausland lebte und die Korrespondenz mit ihm sehr kompliziert angelegt war.
Herr Vogtt ist über 90 Jahre alt geworden und vor ein paar Jahren gestorben. Herr Paßlick hatte eigentlich einen guten Draht zu ihm. Ich erinnere mich an einen Sachverhalt, wo Herr Vogtt sich bei Herrn Paßlick gemeldet hatte, um ihm mitzuteilen, dass er Teile des Geländes/der dortigen Scheddach-Hallen an eine Autowerkstatt vermieten werde. Als Herr Paßlick ihm dann erklärt hat, dass es nicht das Ziel der Stadt sei, solches Gewerbe in diesem Filetstück KuBAaI ansiedeln zu lassen, hat Herr Vogtt sich für den Hinweis bedankt und darauf verzichtet – genau wie auf die jahrelangen Mieteinnahmen, die an dieser Stelle für ihn möglich gewesen wären.
Mögen Sie dazu etwas ergänzen?
Ulrich Paßlick: Udo Geidies hat recht. Ich hatte wirklich einen guten Draht zu ihm. Aber … es gibt kein bodenrechtliches Modell, was wir nicht entwickelt und mit Herrn Vogtt kommuniziert haben. Bisweilen schien er sehr zugänglich, dann wiederum hörten wir lange nichts, um Fahrt aufnehmen zu können … zum
Abschluss zu kommen. Was auch immer dem im Wege stand.
Ich habe gelernt, dass man eines nicht tun sollte … nämlich die Nerven verlieren. Manchmal braucht es eben eine Generation, manchmal auch zwei Generationen, bis sich so etwas in die richtige Richtung entwickelt. Wichtig ist, wie geschildert, dass man sich parallel engagiert, Fehlentwicklungen zu vermeiden.
In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an den Spruch: „Gras wächst auch nicht schneller, wenn man daran zieht.“
Wie kam Herr Vogtt eigentlich in den Besitz dieses Geländes?
Ulrich Paßlick: Er hat seinerzeit die Grundstücke und Gebäude aus der Konkursmasse des Vorgängerbetriebs Max Herding übernommen. 1973 wurde die Produktion eingestellt und der Gebäudekomplex zumindest noch teilweise zu Lagerzwecken vermietet. Ab 2004 erfolgte dann durch den LWL der Umbau zu einem zweiten Standort des 1989 auf der gegenüberliegenden Seite der Aa eröffneten Textilmuseums.
Zum „ruhenden“ Sachstand im Vogtt-Gelände hat unlängst das Bocholter-Borkener Volksblatt berichtet:
Passage aus dem BBV vom 29. Mai 2024: https://www.bbv-net.de/Lokales/Bocholt/Vogtt-Gelaende-im-Bocholter-Kubaai-Gebiet-verfaellt-immer-mehr-450579.html
Vogtt-Gelände im Bocholter KuBAaI-Gebiet: Gemäuer akut einsturzgefährdet Enteignung das „letzte Mittel“
Das erinnert ein wenig an den Spruch „Ende im Gelände“, oder?
Ulrich Paßlick: Wenn wir gleich zum Fotoshooting dort unterwegs sind, sollten wir bitte ein Foto von mir vor den besagten Gemäuern machen. Visuelles Futter für Menschen, die gerne behaupten: „Guck mal, da ist er auch nicht fertig geworden.“ 😉
Ich mag Ihren Humor 😉


Zeitsprung
Während ich das schreibe, muss ich unweigerlich an die Unvollendete von Franz Schubert denken – die Sinfonie in h-Moll D 759, wie mir Google verrät.
Es ist Sonntagabend, 18.27 Uhr … Zeit für einen Schreibleistungs-Belohnungswein. Ich suche nach dem besagten Stück mit den meisten Aufrufen auf YouTube und drehe laut auf: https://www.youtube.com/watch?v=3tisvEpblig
Was da über die Monitor-Boxen auf meinem Schreibtisch an meine Ohren dringt, ist schon grandios. Ich vermisse nichts, obwohl ich mir diese Bemerkung als Klassik-Banause 😉 auch nicht anmaßen dürfte. Vielleicht brauchen alle großen Werke einen „Hauch Unvollendetes“ – auch das KuBAaI?
Wie wäre es, wenn sich jemand dieser „Unvollendeten“ Schuberts annähme?
Google spült mir Folgendes vor die Augen:
Nachricht vom 29.01.2019:
Franz Schubert komponierte seine Sinfonie in h-Moll nie zu Ende. Jetzt versucht die künstliche Intelligenz, die „Unvollendete“ mit zwei Sätzen zu vollenden. Kann sie einen begnadeten Komponisten ersetzen?
Schon viele Komponisten haben versucht, den zwei Sätzen von Schuberts „Unvollendeter Sinfonie“ das fehlende Ende hinzuzufügen. Schubert selbst hatte zu Lebzeiten offenbar keine Lust mehr, dieses Werk zu vollenden und wendete sich lieber anderen Kompositionen zu.
Doch noch nie hat es eine künstliche Intelligenz versucht, gefüttert mit den Noten der ersten zwei Sätze, einen dritten und vierten zu komponieren. Dieses Musik-Experiment hat nun der chinesische Elektronik- und Telekommunikationskonzern Huawei gestartet, um die Möglichkeiten und Grenzen künstlicher Intelligenz auszuloten. Die Uraufführung der „Künstlich Vollendeten“ soll nächste Woche Montag in London stattfinden. Es könnte eine kleine Musik-Sensation werden.
Die berühmte Sinfonie h-Moll 759 D von Franz Schubert ist weltweit als die „Unvollendete“ bekannt. Trotz zahlreicher Versuche, sie zu komplettieren, ist sie seit 197 Jahren unvollständig.
KI des Huawei Mate 20 Pro vollendet Schuberts Sinfonie in h-Moll 759 D: https://www.youtube.com/watch?v=Lyv0VQLTDMU
Das Ergebnis:
Der Opernkritiker der „Welt“ habe sich das Konzert angehört und sei keineswegs zufrieden gewesen, sagte unser Studiogast, der Feuilletonchef des Blattes, Andreas
Rosenfelder, im Deutschlandfunk Kultur. Es sei ein banales, langweiliges Gedudel gewesen. „Es gibt auf jeden Fall jetzt keinen Beleg davon, dass künstliche Intelligenz wirklich komponieren kann.“ Es handele sich bislang eher um eine Art Notenschreibprogramm. „Da entsteht noch nichts Geniales.“ Aber es sei interessant, dass Huawei einen „Helden der europäischen Klassik sich gewissermaßen als Sparringspartner sucht und zunächst einmal scheitert.“
Auch im Journalismus sieht Rosenfelder wenig Chancen, das kreative Schaffen von Autoren zu ersetzen. „Im Feuilleton kann ich das total ausschließen“, sagte er. „Feuilleton-Texte sind grundsätzlich viel zu unverständlich, verworren und voller Bilder und verrückter Gedanken – das kriegt kein Algorithmus so gut hin.“
Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/schubert-konzert-in-london-das-scheitern-an-der-100.html
Extrem zufrieden, auch im Hinblick auf meine KI-freie Schreiberei, beende ich diesen Exkurs in die Musikgeschichte. Meine Analogie: Es scheint kein guter Ansatz, das KuBAaI mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) zu Ende zu bringen 😉 Vielleicht ist es klüger, auf die MI (menschliche Intelligenz) zu setzen – dem Kooperationsvermögen aller nunmehr verantwortlichen Personen.
Udo, wie lang darfst du dieses Projekt noch betreuen, sprich zu wann wechselst du in dein neues Lebenskapitel Ruhestand?
Udo Geidies: Wenn wir aus der Bretagne zurückkommen, verbleibt mir noch ungefähr ein Monat – ich werde zum 31. Juli 2024 verabschiedet.

Über den Tellerrand – vom KuBAaI
Udo, sprechen wir über die weitere Stadtentwicklung … also außerhalb der räumlichen Grenzen des KubAaI. Das, was sich dort zwischen der versunkenen Brücke und dem Neutorplatz entwickelt und im weiteren Verlauf unserer „Hauptschlagader“ Bocholter Aa … im Bereich des Weber-Quartiers …
Udo Geidies: Ich finde, du hast mit der „Hauptschlagader“ den passenden Begriff gewählt. Das war unser Ursprungsge- danke, diese Durchlässigkeit in Richtung Aasee und an der anderen Seite wieder zurück. An diesem Band in Form unserer Aa haben wir uns aus Sicht der Stadtentwicklung entlanggehangelt und abgearbeitet.
Es ist vielleicht 30 bis 35 Jahre her, da gab es den Trend, dass man alles, was Wasser war, in der Innenstadt versucht hat zu deckeln, einzuschränken, es nicht mehr sichtbar zu machen. Viele Städte haben das tatsächlich so gemacht. Um die Jahrtausendwende herum erinnerte man sich an die hohe Qualität von Wasser im innerstädtischen Bereich. In Bocholt haben wir das Glück. dass die Aa die Innenstadt durchfließt – mit vielen städtebaulichen Optionen, man muss sie halt erkennen.
Herr Paßlick, wie beobachten sie die Entwicklung rechts und links vom KuBAaI?
Ulrich Paßlick: Ich finde es gut, dass sich am Aasee etwas entwickelt. Die weitere Ansiedlung von Gastronomie stand schon 2009 auf unserer Agenda – damals im Rahmen des Ideen-Wettbewerbs. Manchmal brauchen sie Dinge halt Zeit.
Was macht Udo Geidies ab dem 01. August 2024, wenn er nicht gerade die U19 des 1. FC Bocholt zum Erfolg führt oder in der Bretagne unterwegs ist?
Udo Geidies: Der Fußball bindet mich schon sehr. Ansonsten erwartet meine Frau sicherlich, dass es nicht bei diesem einmaligen Urlaub in der Bretagne bleibt. Wir werden wohl noch ein bisschen mehr von der Welt erkunden. Wir sind schon ganz gut unterwegs, aber Reisen wird sicherlich ein zentrales Thema werden.
Dem Interviewten gebührt das letzte Wort. Muss noch irgendetwas raus?
Welche Frage hättest du gerne beantwortet, die ich vergessen habe zu stellen?
Udo Geidies: Keine. Ihr erfasst das sehr gut. Es ist immer schön zu sehen, wie ihr die Dinge darstellt. Das war immer sehr positiv und sehr qualifiziert. Im Projektteam haben wir das immer mit Spannung verfolgt, oftmals mit dem Fazit: „Guck mal, so kann man das auch sehen/schreiben.“ Von daher danke für euren Einsatz fürs KuBAaI, und für das, was sich in unserer Heimat tut.
Merci für dein Feedback zu uns. Wir bemühen uns um eine andere, wertschätzendere Sichtweise, als sie von der kleinen Statue im Langenbergpark
bisweilen entliehen wird …
Udo Geidies: Das ist auch das, was mich seit meinem Zuzug nach Bocholt immer ein bisschen irritiert hat. Dass es vereinzelt Menschen gibt, die sehr lange brauchen, um das Schöne in neuen Gedanken und Entwicklungen zu sehen.
Dir und deiner Frau noch eine schöne Zeit in der Bretagne.
Udo Geidies: Vielen Dank. Euch viel Spaß bei der neuen Ausgabe.
Notiz an mich selbst. Angesichts seiner urlaubsbedingten Abwesenheit kommt Udo-Geidies in dieser Story zu kurz – visuell gesehen. Wir schenken dir zum Ruhestand eine Moving-Foto-Session in deinem größten Projekt, lieber Udo – gerne mit einem Glas Wein in der Hand.
Fazit
Bislang haben wir für uns in Anspruch genommen, dass wir bei den Entwicklungen in unserer Stadt nicht wie Blinde von der Farbe sprechen. Nach diesen Interview-Sessions muss ich resümieren, dass es eher blasse Pastelltöne waren, die wir bislang wahrgenommen haben – um euch ein gedankliches Bild zu zeichnen.
Dieser Deep-Dive zu den Wurzeln des KuBAaI, zu den Wurzeln unserer Stadt, lässt uns die Entwicklung noch bewusster wertschätzen.
Diese Story erhebt weder den Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Jedermanns-Geschmacks-Kompabilität. Wer wie einst Hannibal gerne formuliert: „Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert“, dürfte mit dem bislang Erreichten ähnlich zufrieden sein wie unsere beiden Interviewpartner.
Wir bedanken uns für diese Einblicke, bei unseren Interviewpartnern. Gleichzeitig nutzen wir die Gelegenheit, um uns als PAN auf eine mögliche Schreibstube in dem historischen Staubturm auf dem ehemaligen IBENA-Gelände zu bewerben – Der PAN als Stadtschreiber 😉 Die Geschichten unserer Stadt sind es wert, merkWÜRDIG niedergeschrieben, erzählt und konserviert zu werden.

sqb – Stadtquartiere Bocholt GmbH
Büro Nordhorn
NINO-Allee 11
48529 Nordhorn
T. 05921 / 80 93 30
info@sqb-bocholt.de
www.sqb-bocholt.de