von Susanne Kippenberger | Buchbesprechung
Fotos: Kirsten Buß // Text: Roland Buß
Angelesen am 06. Mai 2022 | Meine Motive, dieses Buch zu kaufen, das mir von Amazon vorgeschlagen wurde:
1. Ich mag den Schreibstil von Susanne Kippenberger. Ihr Buch „Am Tisch – Die kulinarische Bohème oder Die Entdeckung der Lebenslust“ gehört zu meinen Lieblings- und meist-verschenkten Büchern | Angelesen am 03. August 2010 im Bahia | Weitergelesen auf der Zugfahrt nach Grainau/Zugspitze
2. Die Beschreibung erinnerte mich an den Artikel „Generosity-Marketing“, welchen ich unter der Rubrik „WeinHeiten“ in unserem Business-Magazin PLATZHIRSCH veröffentlicht hatte: Platzhirsch No.3 – Seite 102-107
Dienstag | 19. März 2023 | 17.35 Uhr | Cappuccino-Time | Imping – Das Café … zugleich eines meiner Lieblingscafés in Bocholt
Es ist gefühlt das siebte Mal, dass ich in diesem Buch schmökere. Ich erkenne das an den unterschiedlichen Stiften, die ich verwendet habe, und an der Intensität der Anmerkungen, die ich teilweise mehrfach gekennzeichnet habe.
Insbesondere das Kapitel mit der Gastfreundschaft, ab Seite 42, strotzt vor Randnotizen und Ausrufe- und Bestätigungszeichen, da es mir förmlich aus der Seele geschrieben wurde.
Susanne erzählt von ihrem Vater, der es liebte, ein offenes Haus zu haben. Der mit ihrer Mutter gemeinsam immer üppig für die zahlreichen Gäste aufgetischt habe. Teilweise seien die Gäste überbewirtet worden, wobei das keine Zeichen von Angeberei waren, sondern Ausdruck der Familien-immanenten Großzügigkeit. Fröhlich und entspannt seien ihre Eltern dabei gewesen.
Ich finde mich wieder in diesen Zeilen. Aus den nunmehr 13 Jahren des Zusammenlebens mit Kirsten resümiere ich, dass wir eine Weile gebraucht haben, um in einem ähnlichen Entspannungsmodus gute Gastgeber zu sein. In den Anfangsjahren haben wir die Gäste an unserer Tafel regelmäßig überbewirtet, indem wir uns aus dem Leben gekocht haben. „Tafeln heißt teilen. Und zwar Brot und Wein, Gespräche und Genuss.“ Und dazu bietet die zwei mal ein Meter große Tafel in unserer Portwein-Lounge ausreichend Platz. Im Laufe der Jahre wurden wir immer besser darin, die Balance zwischen Food, Wine und Talk auszuloten.
Großzügigkeit wie auch Gastfreundschaft sind Kunstformen, die es wert sind, sich darin zu üben, denke ich beim Lesen. Auch der Großzügigkeitsmuskel lasse sich trainieren und … Schenken sei die komplexe Form der Kommunikation, steht im Buch zu lesen. Ich nicke zustimmend.
Also … ich wäre gerne bei uns zu Gast 😉 … insbesondere, wenn es der Abend (teilweise spontan) hergibt, einen Portwein aus einem bestimmten Jahrgang zu öffnen, weil sich damit ein emotionaler Bezug zum Abend, zu den Gästen herstellen lässt. Zuletzt war es ein Portwein aus dem Jahre 1947 – Unforgettable … dieser Abend nebst Wein. Was nie passiert ist, vor der Spontan-Entkorkung nach dem damaligen Kaufpreis oder nach dem Wiederbeschaffungspreis zu lünkern 😉
Ich lese weiter … Großzügigkeit sei nicht nur auf materielle Gaben beschränkt. Auch das Verzeihen von Fehlern und Macken anderer Leute (und der eigenen) sei ein Akt der Großzügigkeit.
Es ist die Großzügigkeit im Denken, wie ich es bezeichne und mich darin übe. Wie geschildert, wir reden und schreiben über eine Kunstform. Selten treffen wir im Leben auf wahre Meister dieses Fachs, gelegentlich auf Master- oder Bachelor-Studenten. Im Grunde genommen sind alle Schulformen vertreten. Was mich persönlich schmerzt, ist das Verhalten diejenigen, die schon in der ersten Klasse pappen geblieben sind 😉 Denn Geiz, als ultimativste Form der Sparsamkeit, ist die Lieblingsregel aller halb lebendigen Menschen.
Gelegentlich abzulesen aus den Szenarien, wie manche Menschen den Begriff „Trinkgeld“ fehl-interpretieren. Der ursprünglichen Wortbedeutung nach übergab es der Spender mit dem Wunsch, man möge diesen Obolus auf sein Wohl vertrinken. Ich weiß nicht, ob seinerzeit Kranwasser damit gemeint war 😉
Die Autorin Susanne zitiert einen Ausspruch von Marie von Ebner-Eschenbach: „Arme Leuten schenken gern.“
Eine Erfahrung, die ich insbesondere an der Westküste Südafrikas, bei bescheiden-herzlichen Rooibosfarmern, machen durfte.
Warum eine großzügige Denke sich so positiv auf das eigene Leben und Wohlbefinden auswirkt, wurde durch ein Forschungsprojekt belegt, was auf Seite 58 skizziert wird. Nachzulesen auch im Buch „The Paradox of Generosity“.
Ab Seite 129 wird es extrem spannend, da geht es um Bestattungskultur, nebst Leichenschmaus. Ich erinnere mich an die Beerdigung eines lieben Menschen im letzten Jahr. Ihr Wunsch war es, dass alles Trauerenden am Grab mit einem Rotwein auf sie anstoßen – beim Erinnern bekomme ich eine Gänsehaut, die sich gut anfühlt.
Überhaupt biete das Ritual des Leichenschmauses viel Luft nach oben. Ein letztes gemeinsames Mahl. Warum nicht die Lieblingsspeise des Verstorbenen servieren, statt gedankenlosen Streuselkuchen „von der Stange der Gewohnheiten“. Das hätte den Vorteil, dass die oder der Verblichene an der Tafel noch präsent und unter uns sei.
Der kluge Tote baue schon zu Lebzeiten vor. So habe der schillernde Modedesigner Rudolph Moshammer Obdachlose zu seiner Beerdigung eingeladen, wo dann Leberkäs, Kartoffelsalat und Weißbier aufgetischt wurden.
Dieses Kapitel entwickelt regelrecht einen Geschmack aufs Abschiednehmen – irgendwann mal. Okay … ich lege mich fest … Coq au vin wird es geben 😉 Dazu einen Châteauneuf-du-Pape von Jean-Marie Royer oder einen Arrogant Frog von Jean-Claude Mas – je nach Andrang und Anzahl der verkauften Tickets 😉
Noch ein Gedanke, ich habe vor einigen Jahren damit begonnen, Geburts- und Sterbedaten von Charakteren in meinem Kalender auf dem iPhone zu „meißeln“. So finden sich dort die Daten von Paul Bocuse, Karl Lagerfeld, Leonardo da Vinci … um nur einige zu nennen. Menschen, die uns / mich inspiriert haben … derer wir an dem jeweiligen Tag gedenken … mit einem Glas Wein, einem passenden Gericht oder in anderer Form. Auch die Erinnerungskultur und die Dankbarkeit sind Facetten der Großzügigkeit.
Apropos Dankbarkeit … es ist an der Zeit, Susanne Kippenberger DANKE zu sagen und dies gerne mit konkretem Bezug auf dieses grandiose Buch:
• mit dem Weißwein „Wie im Flug“ | Bezug: Seite 170
• mit einer Packung Streichhölzer, beklebt mit einem meiner Fotos aus einer Streetphoto-Session/inkl. 50 Momente des Erinnerns 😉 | Bezug: Seite 181
• mit ihrem Lieblings-Parfüm „Le Bain“, was sie so selten geschenkt bekommt | Bezug: Seite 185
Und zum nächsten Buch, liebe Susanne, gibt es (endlich) eine Uhr 😉 | Bezug: Seite 181
Dem Impuls, Bücher zu verschenken, gehe ich schon seit Jahren nach. Mehrmals habe ich Michael Endes „Momo“ verschenkt – mit dessen zentraler Botschaft „Zuhören“. Ganz lieben Dank für deinen Hinweis auf „Leb wohl, lieber Dachs“ (Seite 175). Wann immer es sich anbietet, werden wir ein Exemplar zum Trost verschenken.
Dieses Buch ist ein Quell der Inspiration, mit vielen Parallelen zum Andocken. Warum nicht den „Traumfänger“ unseres Künstlerfreundes Norbert Then zu einer Hochzeit verschenken? Oder einen analogen Plattenspieler mit einer Selektion LPs, ein passendes Gemälde?
Guten Freunden Selbstgemachtes mitzubringen, wie eingelegten Ziegenkäse oder eine anständige Scheibe hausgemachter Foie Gras. Den Hausgästen Nichtaufgefuttertes vom „überbewirteten Hauptgang“ in Einmachgläsern mitzugeben … es gibt so mannigfaltige Möglichkeiten, großzügig zu sein.
Bedanken möchte ich mich auch bei meinem Freund Johannes Warth – dem Ermutiger, Johannes Warth der den Anstoß dafür gab, noch tiefer in das Thema Großzügigkeit einzutauchen. Das Buch von Susanne K. ist auf dem Weg zu Dir, während der 61er Port hier auf dich wartet 😉