Fotos: Kirsten Buß & Text: Roland Buß
… wenn der Herbst zweimal klingelt
Von Zugvögeln, digitalen Nomaden, Indian Summer an der Elbe … und auf dem Tisch
Sobald die Nahrung knapp wird, machen sie sich auf den Weg – manche Zugvogelarten starten schon im August, andere erst im Oktober oder noch später. Zwischen März und Mai kommen sie wieder zurück in ihre Brutgebiete.
Gut, so lange wollten wir nicht bleiben, als wir uns antizyklisch gen Norden auf den Weg machten. Es war auch nicht die Suche nach Nahrung, die uns fortziehen ließ,
sondern eher die Phantomschmerzen nach der für uns zweitschönsten Stadt Deutschlands. In der anderen wohnen wir dauerhaft – ich zumindest, die Gemahlin denkt da bisweilen umgekehrt drüber 😉
Und so war sie es, die plötzlich die Idee hatte, Ende September unser Camp direkt an der Elbe, am Falkensteiner Ufer … hinter Blankenese, aufzuschlagen. Eigentlich nichts
Besonderes, dort haben wir schon des Öfteren das Dachzelt unseres Landys aufgestellt, um den dort vorbeicruisenden Pötten zuzuprosten und ein Stück Fernweh anzudocken.
Neu allerdings war Kirstens Vorschlag, unser Glampingzelt mitzunehmen – quasi als Feuertaufe für eine mögliche Sylt-Auszeit in den Dünen – in 2025.
Und so zogen wir am 25.09.2024 mit unserem alten Defender und Anhänger, nebst Zelt und Einrichtungs-Gedöns, gen Norden – die uns entgegenflatternden Zugvögel grüßend.
Fünf Tage und Nächte war dieses sechs mal vier Meter große Zelt-Refugium unser Zuhause. Mit Outdoorküche, neuer Kompressor-Kühlbox, analogen und digitalen Schreibplätzen fehlte es uns an nichts – fast nichts.
Wir haben mit eisgekühltem Helbing als Absacker Pasta, Fischbrötchen und Co. gen Magen verabschiedet. Die neue Kühlbox hat ihre Premiere mit Bravour bestanden.
Auch schön zu wissen, dass das Zelt fünf Tagen Schietwetter und Windstärke sechs trotzen konnte. Aber wo sollte es auch hin, angesichts des Schwarms von Sturmheringen, den ich auf Geheiß der Gemahlin in das Geläuf des Elbecamps gerammt hatte.
„Roland, Kälte ist nicht das Problem. Ich habe Sorge um die Stürme im Norden, die vorhergesagt sind“ – hatte sie vor der Abreise gesagt … während ich in den Landy kletterte, um bei Obelink amtliche Schraubheringe, Zugfedern etc. einzukaufen und in die „Orkan-Box“ zu zwei Dutzend Zurrgurten zu packen 😉
Auch diese Tour hatten wir als Workation angelegt, sprich einer Mischung aus redaktioneller Arbeit am PAN und Auszeit. Während nach dem frisch aufgebrühten Kaffee ein paar Texte darauf warteten, niedergeschrieben zu werden, waren es ab Mittag Spaziergänge am Elbstrand – gelegentlich begleitet vom Summen von Shantys wie: „Ick heff mol en Hamborger Veermaster sehn“ … unterbrochen von dem ein oder anderen Glas Wein entlang des Weges.
… wenn der Herbst zweimal klingelt | Part I
Wie geschildert … wir waren gut equipped. Auch, um spontan einen Reisetrend zu testen, den ich unlängst aufgeschnappt … und Kirsten offensichtlich im Blut hat:
den Reisetrend „Coolcation“ – Urlaub vom Hitzestress. Noch reisen die meisten Deutschen im Sommer in den Süden. Es gibt aber eine Gegenbewegung: Ferien im kühlen Skandinavien.
https://shows.acast.com/richard-wo-erreiche-ich-dich
Wir mussten nicht mal bis Skandinavien reisen, um dem Hitzestress zu entkommen. Wir haben einfach die beiden Heizgeräte zu Hause gelassen, die das Zelt hätten erwärmen können. Denn in Anlehnung an den James-Dean-Klassiker „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ haderte ich mit mir, weil ich nicht tat, was ich wusste.
Wir sind mittlerweile sehr souverän darin, Urlaubsziele, -zeiten, Exkursionen, Food-&-Wine-Sessions harmonisch als Paar auszudealen. Beim Zusammenstellen der Logistik allerdings werde ich zukünftig vornehmlich das Erfahrungswissen eines Ex-Pfadfinders berücksichtigen (moi) 😉
Kurzum: „Kälte ist in der Tat nicht das Problem“ – wenn man darauf steht, sich nächtens und in der Früh Worte durch Atemschwaden zuzumorsen 😉
Die angekündigten Stürme blieben aus, nicht jedoch der spontane Einzug des Herbstes. Die gelegentlichen Fröstel-Episoden wirkten wie Stimulanzien für die Kulinarik zwischen meinen Ohren. So puzzelten sich Ideen für Körper und Seele wärmende Schmorgerichte und Eintöpfe zusammen, die ich nach unserer Rückkehr kochen wollte.
… wenn der Herbst zweimal klingelt | Part II
Diese herbstlichen Rezeptideen gewannen an Umsetzungsgeschwindigkeit, als wir von unserer Coolcation zurückkehrten, in unser „Nest“ oberhalb der Homebase des PAN. Ein Ausfall der Heizung verstärkte das Gefühl, dass es nun endgültig an der Zeit sei, den mediterranen Sommergerichten Adieu zu sagen.
Marktbummel – noch ohne Sack- oder Bollerkarre
Auf herbstliche Zutaten programmiert, schulterte ich am Samstag vor dem Erntedankfest unsere Markttasche im XXL-Format. Von den Konfektionären dieser Produkte als sogenannte Kaminholz-Tasche entworfen und angepriesen – von mir als ideales Behältnis für unsere Marktbummel-Beute erworben.
Fellnase Paula an meiner Seite folgten wir erst einmal der spontanen Einladung zu einer Tasse Kaffee mit unserer Freundin Mechtild Hoffs (ANNA – Das bin ich | Nordstraße). Einen Teil des dortigen Tresens hatte Enkel Vincent in Beschlag genommen, um sein selbst produziertes „Nervenfutter“ anzubieten – Barloer Walnüsse – eigenhändig karamellisiert.
Dieser Gründergeist gehört unterstützt, und so wanderte ein Glas in die besagte Tasche.
# Workation Elbecamp
Dazu gesellten sich beim anschließenden Besuch auf dem Bocholter Wochenmarkt: Kartoffeln, ein Bund Möhren, Rote Bete, Endiviensalat, eine Selektion Würste vom Hofladen Slütter, Porree, Frühlingslauch, ein Hokkaido-Kürbis, Rosenkohl, Champignons, rote Zwiebeln, Rot-/Weiß- und Spitzkohl. Lediglich meinem Wunsch nach farbenfrohem Mangold konnte keiner der Marktbeschicker entsprechen. Viele von denen entsprachen aber den Vorstellungen unserer Fellnase von einem optimalen Marktbesuch aus ihrer vierpfotigen Sicht – so gab es: eine Scheibe Wurst beim Metzger, etwas Käse bei Heßling, eine Möhre von einer Gemüsehändlerin und zwei Sprotten von Jan de Graaf – den ich um eine Portion Kibbeling mit Remoulade erleichterte. Dankbar und gesättigt traten wir beiden den Heimweg an.
Die „leichte Sommerküche“ trägt ihren Namen nicht zu Unrecht, schoss es mir in den Sinn – mit gefühlten 27 Kilogramm Herbstgedöns in der besagten Tasche geschultert. Auch hier scheint ein Upgrade der Logistik angebracht. Unsere Handkarre fürs Diner en Blanc könnte die Lösung sein – allerdings bin ich mir nicht sicher, ob Fellnase Paula darin Platz nehmen oder sie ziehen würde 😉
ErnteDANK mit den Muttis
Kirsten hatte Vatter Hermann beim morgendlichen Aufbau seiner Noßmann-Ausstellung auf dem Mussumer Erntedankfest attestiert.
Während dieser sich mit seinen 87 Lenzen, als wahrscheinlich ältester Pop-up-Galerist auf diesem Planeten, bei strahlendem Sonnenschein um Bild- und kunstinteressierte Besucher kümmerte, umsorgten wir unsere Mütter und uns mit herbstlichen Variationen vom Herd. So wanderten Kupferpfannen und -Töpfe auf die Tafel unseres Nestes, das angesichts der reparierten Heizung wieder als solches bezeichnet werden darf. Die hereinblinzelnde Sonne tat ihr Übriges, um das Farbenspiel auf dem Tisch zu unterstreichen – Indian Summer für Augen und Gaumen. Mutti Angelika und Mutti Änne hat es vorzüglich geschmecket … wie Vater Hermann es ausdrücken würde, den wir anschließend inmitten seiner Ausstellung besuchten.
Wie ihr den Bildern entnehmen könnt, war dieses Momentum, „Der Ernte DANKE zu sagen“, kein Hexenwerk. Im Elbecamp war die Idee gereift, dem Eintopf aus Sauerkraut und Kartoffeln ein rotes Pendant entgegenzusetzen. Wenn ihr das für ein ähnlich gute Idee haltet … kleiner Tipp … rührt ein anständiges Glas Rote-Bete-Saft mit unter den Kartoffelstampf und den Rotkohl – für einen besseren Kontrast, sprich ein sattes Rot.
Bei allen drei Arten von Stampf … also bei der Variante mit Sauerkraut, Rotkraut und dem Endiviensalat, ist die besagte „Schlotzigkeit“ sehr wichtig – d. h. nicht zu fest … und auf keinen Fall zu flüssig.
Als Beiwerk dienten geschmorte rote Zwiebeln, Röstzwiebeln, Crème fraîche, verschiedene Senfsorten und ein trockener Viognier aus der Provence.
Epilog
Unschwer zu erkennen, dass wir nicht die gesamte Ausbeute aus der Kaminholztasche verarbeitet haben – die anstehende Woche hielt noch viele Tage und einige Gäste für uns bereit. So waren es am Dienstag drauf Michaela Schneider und Andre Krome vom Unternehmen Wohnfit, mit denen wir ein ähnlich herbstliches Arrangement teilten – nach getaner Arbeit.
Die Esskastanien, die ihr auf den Fotos ausmacht, fanden ihren Weg zu meinem geschätzten Lebensweisen in Person von Dr. Georg Hungerkamp – „Dottore“, wie ich ihn trotz des vereinbarten Du mit Respekt anspreche … einen der größten Kastanien-Freaks in der Region. Der es sich trotz seiner neun Jahrzehnte nicht nehmen lässt, zur Kastanienzeit seinen Schweizer Stöckli-Marroniofen anzuwerfen, um diese Früchte des Herbstes zu rösten. Warum man diese vorher einritzen sollte, könnt ihr an dieser Stelle nachlesen: https://www1.wdr.de/nachrichten/coolcation-reisetrend-skandinavien-kuehl-100.html
In diesem Sinne, eurer Kitchen-Story-Team