Text: Roland Buß // Fotos: Kirsten buss
Eine kulinarische Vernehmungs-Sequenz zum Bœuf Bourguignon
Prolog
Bei einer 2018er-Frankreich-Tour war ich auf der Suche nach dem einfachen, dem bodenständigen Genuss. Beaune gilt als die Weinhauptstadt des Burgunds. Wenn man als bekennender WineFreak hier aufschlägt, pochert das Herzchen immer 20 Schläge über dem Ruhepuls — zumindest bei mir.
Als ich die Speisekarte beim Ankunftsdinner zur Hand nahm, sprang mir das Bœuf Bourguignon ins Auge. Es war mir unmöglich, die Namen der anderen Gerichte auch nur zu lesen. Was bitte schön kann passender sein als dieses Gericht, welches hier erdacht und nach seinen Hauptzutaten benannt wurde: Rindfleisch („le bœuf“) und Burgunderwein („le vin bourguignon“) — die nach stundenlangem Schmoren eine Liebeshochzeit am Gaumen eingehen. So habe ich es jedenfalls in Beaune empfunden — zugegeben nach dem Genuss einiger Gläser
Burgunder 😉
Zeitsprung
Freitag | 25. August 2023 | 16.42 Uhr | irgendwo in Deutschland
1.957 Tage ist es her, dass ich dieses
legendäre Gericht in seiner Geburtsregion genossen habe. Kirsten und ich sitzen auf einem gemütlichen Sofa in einer mittelgroßen deutschen Stadt. Ich habe mein Lieblingsschreibgerät im Anschlag, Kirsten
die Fuji-Kamera. Auf dem Sofa links …
unser Interview-Partner.
Begegnung mit Rudolf Esders
Unsere letzte persönliche Begegnung geht zurück ins letzte Jahrtausend – hört sich dramatisch an, oder? 😉 1997 habe ich ihn kennengelernt, den Vorsitzenden Richter
am Landgericht Essen, der Hans-Jürgen
Rösner, Dieter Degowski und Marion
Löblich, die Täter des Geiseldramas von Gladbeck (1988), nach insgesamt 102
Verhandlungstagen verurteilt hat.
Kennengelernt habe ich ihn während
zweier Seminare an der Landeskriminalschule in Neuss. Ein Mensch, der nachhal-
tige Spuren in meinem Kopf hinterlassen hat – die Mensch-gewordene Gerechtigkeit, wie ich ihn gerne bezeichne — was ihm aber deutlich zu hoch gegriffen ist.
Exkurs:
Magazin-Projekt „Begegnungen“
Irgendwann ist mir deutlich geworden, dass es viele Menschen gibt, die durch ihre Impulse meinem Denken, meinem
Leben eine etwas andere Richtung gegeben … die mich geprägt haben — oftmals, ohne es zu wissen.
Menschen mit einer starken Geschichte … Charaktere, die echt etwas zu erzählen haben, deren Botschaften wertvolle Beiträge zum lebenslangen Lernen leisten und die es wert sind, geteilt zu werden.
Darauf fußt die Entscheidung, ein Magazin-Projekt mit dem Namen BEGEGNUNGEN zu verlegen — im Unplugged-Style, den ihr von uns gewohnt seid. Freut euch auf ein Interviewformat als Bookazine. Ein amtlich-imposantes Coffee-Table-Magazin mit extrem
spannender Dramaturgie hinsichtlich dessen Charaktere und Stories. Geplanter Launch: Ende 2024.
Zurück aufs Sofa — zu Richter Rudolf Esders
Mir kam es in unserem heutigen Gespräch nicht auf Details zum Glad-becker Geiseldrama an – der Fall ist medial komplett ausgelutscht. Mir ging es um den Menschen, der uns gegenübersitzt. Was kann man von ihm lernen, wie tickt er? Um das rauszukitzeln, muss es menscheln mit dem Gegenüber. Wo fällt das leichter als beim kleinsten gemeinsamen Nenner, sprich Food & Drinks — das müssen wir schließlich alle zu uns nehmen. 43 Minuten Deep-Dive-Talk liegen hinter uns: Herr Esders, mit welcher Speise kann man Ihnen eine richtige Freude machen?
Also, wenn ich bei meiner Frau wählen darf, dann immer Bœuf Bourguignon – aber nicht irgendeins. Wollen Sie das Rezept
fotografieren?
Und ob ich will. Es ist immer noch nicht abgeklungen … mein frankophil-kulinarisches Adrenalin — insbesondere für dieses Gericht.
84 Jahre alt ist er — der Mensch, auf dem schon so viel Verantwortung für die Gerechtigkeit in diesem Lande lastete. Er scheint sich wohlzufühlen in diesem Gespräch, das anders verläuft als in seinem damaligen Amt.
Hier ist er der Befragte … und der kulinarische Exkurs scheint ganz nach seinem Geschmack zu sein.
Rudolf Esders kehrt mit einem leicht vergilbten Buch zurück — „Die geheimen Rezepte der besten Restaurants Frankreichs“. Das sei nur noch im Antiquariat zu bekommen. Kirstens Blick entnehme ich, dass es nur wenige Stunden dauern wird, bis ich ein solches Exemplar aufgespürt und bestellt habe (circa sieben Stunden, um genau zu sein — um 23.48 Uhr habe ich den Bestellvorgang abgeschlossen).
Der Richter im Ruhestand schlägt Seite 347 auf und lädt zum Abfotografieren ein. Pate für dieses Rezept war das „Chez Pauline“ in der Rue Villedo in Paris.
Seinerzeit mit einem Michelin-Stern bedacht — inzwischen dauerhaft geschlossen, wie uns Google verrät. Aber es scheint womöglich einige „Patenkinder“ zu geben, die dieses Rezept am Leben erhalten 😉
Wir mögen auf jeden Fall Möhren vermeiden, die die meisten verwenden würden, erklärt Rudolf Esders. Am nächsten Tag erfolgte via Mail ein weiterer Rezept-Feinschliff und uns wurden Secrets zum Bœuf Bourguignon im Esders-Style verraten.
PS: Wir bitten um Verständnis, dass wir den Ort des Interviews nicht mit euch teilen. Möglicherweise mag es Menschen
geben, die ein nicht so entspanntes Verhältnis zu „Euer Ehren“ pflegen — zwischen ihren Ohren.
Die Umsetzung
Dienstag | 03. Oktober 2023 | Tag der Deutschen Einheit | 18.00 Uhr
Relativ spontan kam uns in den Sinn, uns bei unseren Eltern mit einem würdigen Dinner zu einem Roadtrip in Richtung oberitalienische Seen zu verabschieden. Zudem brannte ich darauf, das uns anvertraute Rezept endlich nachzukochen.
Beim Abarbeiten der Zutatenliste am
Vortag musste ich die Rezept-geforderten
Perlzwiebeln, mangels Verfügbarkeit, gegen
Roscoff-Zwiebeln aus der Bretagne
ersetzen.
Die verwendeten Zutaten könnt ihr den beigefügten Bildern entnehmen.
Bauanleitungen 😉 findet ihr genügend im Netz, wie zum Beispiel: https://www.fleischglueck.de/magazin/boeuf-bourguignon-rezept/
Wahrlich kriegsentscheidend fürs Gelingen des Gerichtes scheint die Wahl des richtigen Fleisches zu sein. Ich entschied mich für Rinder-Bug (Schulter), wovon ich ca. fünf Kilogramm im Handelshof kaufte.
Reichlich bemessen für sechs Personen zum Dinner — aber ausreichend, um damit den Kühlschrank des Reisemobils zu
bestücken, um dieses Gericht in die Schweiz, als Abstecher nach Frankreich mit dem Ziel Italien, einzuschmuggeln 😉
Eine Anmerkung dazu: Wenn ihr das Fleisch in deutlich größere Stücke schneidet als das Gulasch, das ihr beim Discounter
seht … aber bitte keinesfalls kauft … wissen eure Gäste, dass es grundehrliche Küche bei euch gibt.
In dem oben angeführten Artikel las ich von einem regelrechten Hype um dieses Gericht. Ausgelöst durch eine Folge „Kitchen Impossiblee“ wo Tim Mälzer die Kochlegende Franz Keller (Baujahr 1950 | zwei Michelin-Sterne) mit diesem Gericht aufs kulinarische Glatteis führen wollte.
Ich habe sie im Netz aufgetrieben, um sie amüsiert-genüsslich mit einem Côtes du Rhône zu schauen.
Franz Keller fühlte sich offensichtlich von Mälzer auf den Arm genommen, mit diesem traditionellen Gericht, das zu seinen Parade-Spezialitäten im „Schwarzen Adler“ und im „Falkenhof“ zählte.
Wäre wahrscheinlich ähnlich, als wenn man mich bitten würde, ein Coq au Vin zu kochen, wovon ich mehrere Tausend Portionen im Laufe meines Lebens zubereitet habe — wenngleich (noch) nicht Sterne-gesegnet 😉
Das von Keller nachzukochende Gericht wurde kreiert von Thomas Protot, aus dem „La Cabotte”, in der Nähe von Dijon. Er habe es von seinen beiden Großmüttern erlernt, die beide sehr gute Köchinnen waren — während Franz Keller die Finesse dieses Gerichtes von seiner Mutter beigebracht bekommen habe.
Ich habe echt schmunzeln müssen, bei dieser Staffel. Ein gereifter Virtuose am Herd, mit einer weisen Gelassenheit — dem zwischendurch nach einem kleinen, eingeschobenen Wine-Tasting zumute war.
Das rang sogar Tim Mälzer Respekt ab: „Ich will so sein wie er.“ Seine Leidenschaft für gute Weine inklusive der dafür geopferten 30 Minuten
machten es zum Finale noch mal spannend.
Das Gericht war unbeobachtet vom Maestro stärker eingekocht als geplant. Mit einem „Das war fünf vor zwölf“ schöpfte Franz Keller das rotweingetränkte Fleisch in einen neuen Topf, um die stärksten Röstaromen am Topfboden zu belassen. Unter den anerkennenden Blicken von Thomas Protot rettete er die Soße durch die Zugabe von ein wenig Honig. Ein Kardinalfehler, den Keller selbst eingestand, weil die Gerbstoffe im Wein zu stark durchgeschlagen hätten. Die Jury belohnte ihn dennoch mit respektablen 6,5 Punkten. Das Kartoffelpüree und die Soße waren perfekt. Lediglich Teile des Fleisches seien nicht zart genug gegart gewesen — das war die Quittung für die 30 Minuten Zwischen-Weinprobe 😉
Der kochende Vorleger Protot zollte Franz Keller höchsten Respekt für das Nachkochen seines Gerichtes. Es ging nicht darum, irgendein Bœuf Bourguignon zu kreieren, sondern seine Interpretation möglichst exakt auf den Teller zu bringen. Beim Püree erschmeckte er keinen
Unterschied. Und von der Leichtigkeit, die Soße zu retten, war er sichtlich beeindruckt. Genauso wie vom Typ Franz Keller — ein echter Lebemann im positivsten Sinne. Ein Mensch, der das Leben und den Wein liebt.
Halten wir fest: Das Geheimnis dieses Rezeptes ist die Zartheit des Fleisches und der Geschmack der Soße.
Ich habe am Tage der Deutschen Einheit dem Fleisch ein fast vierständiges Rotwein-Vollbad im Ofen gegönnt.
Ausreichend Zeit, um neben dem vorgeschlagenen Baguette, zum Auftunken der Soße, ein paar Beilagen zuzubereiten, die am Vortag beim Einkauf zwischen meinen Ohren entstanden waren: Es gab: gebratenen Lauch im Ziegenkäserahm — eine Premiere, die meiner Frau einen anerkennenden Augenaufschlag abrang. Daneben einen Wildkräutersalat mit Holunderblüten-Dressing und Kartoffeln, die in Wasser mit Camargue-Salz gekocht hatten. Dazu einen Côtes du Rhône, aus den von mir geliebten Rebsorten Grenache und Syrah.
Drapiert haben wir das Ganze auf über hundert Jahre altem Porzellan — mit güldenem Rand. Des Gerichts würdig, wie auch unsere Eltern bemerkten.
Trotz großen Lobes und einiger Nachschläge haben wir einen akzeptablen Rest im Reisekühli verstauen können.
Die Niederschrift
Freitag | 13. Oktober 2023 |
vormittags | Lago di Molveno | Italien
Gestern Nachmittag sind wir an diesem Bergsee im Trentino angekommen. Herrlich, diese Ruhe, auf 822 Metern über dem Meeresspiegel – eingerahmt von einer majestätischen Bergkette.
Während wir uns gestern Abend mit einem Büffet aus französischem und italienischem Käse kulinarisch verlustiert haben – wird es gleich die letzte Portion Bœuf Bourguignon aus unserem Reisevorrat geben. Ihr seht, der augenscheinliche Aufwand lohnt sich – man(n) und Frau können sehr lange davon zehren.
Übrigenfalls … das Gericht ist einfacher, als es der Name verrät – wenn man sich nicht zwischendurch durch zu viel Kochwein ablenken lässt 🙂
Noch ein Übrigenfalls … die Skizzen zu dieser Niederschrift sind gestern Abend, am 12. Oktober, entstanden – dem internationalen Tag des Freidenkens, wie wir alle wissen. In diesem Freidenker-Bewusstsein solltet ihr an den Herd treten … sprich alles Bohei hinter euch lassen.
Mir ist nämlich aufgefallen, dass ich die „Burgundische Garnitur“ – bestehend aus Speck, Champignons und Perlzwiebeln – erst zum Finale auf das Gericht hätte geben sollen. Bei uns haben sie von Anfang an mitgeschmort – geschadet hat es aus unserer Sicht nicht.
Noch was … Wir haben dem Gericht auch einen ordentlichen Schuss Gemüsebrühe gegönnt, was nicht im Rezept stand. Wir mögen echt gerne Wein, aber … too much is quatsch.
Ausklang
Wenn Ihr ein wenig angeteasert seid auf dieses Gericht, empfehlen wir Euch noch das passende Inspirations-Movie. Bei „Julie & Julia“ mit Meryl Streep in der Hauptrolle dreht sich einiges um das legendäre Boeuf Bourguignon.
In ca. zwei Wochen wird es eine Nachvernehmung mit Richter Esders und seiner Frau geben, die er in Paris kennengelernt hat.
Neben weiteren Geheimnissen zum Leben steht diesmal eine Aioli nach einem Originalrezept vom katalanischen Schwager von Richter Esders auf der Agenda. Es bleibt spannend.
Kulinarische Grüße euer Kitchen-Story-Team