Die Geschichte vom falschen Hasen
Text: Roland Buß // Fotos: Kirsten Buß
Die Geschichte beginnt wie folgt: Ende Februar, im Auto auf der Rückreise von Paris …
Kirsten: Ich hätte Lust auf ein richtiges Ostergericht im PAN April.
Fahrer (ich): Etwas Bestimmtes?
Kirsten: Falscher Hase zum Beispiel, mit Eiern vom Vriesenhof.
Ich: Keine gute Idee, in Zeiten von FakeNews und Chat-GTP. Wie wäre es mit etwas Authentischem? Wir haben in Paris festgestellt, dass wir viel zu wenig Ente essen. Das Gleiche gilt für Kaninchen und Hasen. Wie wäre es mit einer Kombination aus beiden Gerichten? FALSCHER Hase und RICHTIGER Hase?
Kirsten: Zu viel Schnick-Schnack. Lass uns doch mal was Einfaches machen.
Ich: Einfach oder einfältig?
Handgemenge droht. Also das Hörbuch von Karl Lagerfeld auf laut gestellt, was offensichtlich besser für die beiderseitige Stimmung war.
Zurück am heimischen Schreibtisch grübele ich über den Wunsch der Gattin. Warum tue ich mich eigentlich so schwer mit diesem Gericht? Ich halte posttraumatische Belastungsstörungen aufgrund des letzten US-Präsidenten für naheliegend. Schon möglich, dass der Twitter-Fetischist mit dem orangefarbenen Haupthaar den Fake gesellschaftsfähig gemacht hat. Und jetzt soll ich ein solches Fakegericht kochen? Ich spüre förmlich meine Synapsen rebellieren.
Wo kommt sie eigentlich her, die Story mit dem falschen Hasen? Ich lese, dass seine Geschichte ihren Ursprung in den Zeiten nach dem zweiten Weltkrieg haben soll. Bis zum Krieg waren der Kaninchen- oder Hasenbraten ein beliebtes Sonntagsritual auf deutschen Küchentischen. Doch durch die zahlreichen Bombardements war der Hasenbestand auf ein Minimum geschrumpft, die Hasen waren so gut wie ausgestorben. Sie wurden unter Artenschutz gestellt und durften nicht mehr geschossen werden. Die Hausfrauen jener Zeit wollten aber dennoch ihren Gatten einen leckeren Sonntagsbraten zubereiten und hatten festgestellt, dass das Skelett des Hasen dem Knochenbau einer Katze zum Verwechseln ähnelt. Katzen standen nicht unter Naturschutz. Um zu verbergen, dass es sich bei dem vermeintlichen Hasenbraten in Wirklichkeit um Katze handelt, wurden dem Tier Pfoten und Kopf abgenommen und das Fleisch zu Hackfleisch verarbeitet, um es dann mit der Hand zu einer Art Hasenrücken zu formen. So entstand der Name „Falscher Hase.“
Eine wenig appetitliche Geschichte, auch wenn sie der Not der damaligen Zeit geschuldet ist. Wie wird jetzt eine gute, schmackhafte Kitchen-Story für den PAN daraus? Und, haben wir überhaupt eine adäquate Form im Fundus unseres nicht gerade unüppigen Küchenzubehörs? Die blaue Porzellanterrine aus dem Elsass scheint mir ein Auge zuzukneifen – passend zu unseren jüngsten kulinarischen Eindrücken aus Paris.
Darin könnte die Lösung liegen. Wie würde der Franzose den „Falschen Hasen“ interpretieren. Die Zutatenliste des Klassikers bietet zahlreiche Parallelen und zugleich Austauschmöglichkeiten. Statt normalen Zwiebeln verwendet man Roscoffzwiebeln aus der Bretagne. Der normale Senf wird durch Dijon-Senf ersetzt. Statt der eingeweichten Brötchen soll es Baguette sein. Hinzu kommen noch Kapern, eingelegter grüner Pfeffer und rosa Beeren. Die Eier kommen, wie von der Gemahlin eingefordert, vom Vriesenhof – also vom Ferme des Frises. Aber das Wichtigste, das Hack. Das kommt vom Metzger unseres Vertrauens, gleich um die Ecke. Die Stücke, die da frisch durch den Fleischwolf gedreht werden, sind so groß, dass selbst eine adipöse Hauskatze als Lieferant ausscheidet.
Was wären denn die adäquaten, frankophilen Beilagen? Auf jeden Fall Kartoffeln, karamellisierte bunte Möhren, ein Wildkräutersalat mit essbaren Blüten und eine frühlingshafte Sauce Hollandaise, die übrigens ihren Ursprung in der Normandie hat.
Der Tag der Umsetzung steht bevor. In einer Phase, die ich als „hohe Erlebnisdichte“ bezeichnen würde. (Manche sagen Stress dazu.) Um 13.15 Uhr geht mein Zug zur ProWein nach Düsseldorf. Mein persönliches Weihnachten für den Gaumen. Fünf Tage habe ich mich über AirBnB in eine Old-School-Atelier-Wohnung eingemietet, um runter zu kommen, zu lesen, zu schreiben und nicht zuletzt, um die Messe zu besuchen und Winestories einzufangen. Vier Stunden bis zur Abfahrt bleiben, zum Einkaufen und den „Falschen Hasen“ in die richtige Form und wieder heraus zu bringen. Sollte reichen. Apropos reichen. Der Rezeptwünscherin reichte es auch. Ich hatte hastig ihre Yogaklamotten aus ihrer Tasche auf’s Bett gepackt, um meine Marktrunde zu machen. Das Teil war dafür hervorragend geeignet – bis zu diesem Morgen, bis zum energischen Veto der Gattin.
„Dann eben nicht.“ sprach er, packte seinen Koffer und nahm einen früheren
Zug. Irgendwie scheint der Wurm in diesem Gericht zu stecken, statt der Eier.
Den Disput hatten wir kurzerhand beigelegt. Doch jetzt galt es, die Kitchen-Story auf Distanz harmonisch umzusetzen. Also, die Einkaufsliste an Kirsten gemailt. Während ich mich in Düsseldorf ans Storydesign machte, formte meine Frau den „Falschen Hasen“ und zauberte ein Gericht auf die Tafel, bei dem mir das Wasser im Munde zusammenläuft.Ich freue mich darauf, gleich wieder in den Zug zu klettern, auf’s Nachhausekommen und auf eine Scheibe „Friedenshase“ mit meiner Lady.
Ich weiß nicht, ob die Ursprungsgeschichte der Wahrheit entspricht?
Für die Echtheit unserer Story stehen wir (wie Claus Hipp damals) mit unserem Namen.
Euer PAN-Kitchen-Story-Team