Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen …
Donnerstag, 9. März 2023 – Vienna Calling
Es war nicht Johann Hölzel, dessen Ruf mich in den Flieger in Richtung Wien klettern lies – sondern das Wiedersehen mit ganz vielen Freunden. J.H. wird euch besser bekannt sein unter dem Pseudonym Falco, seinem Musikernamen. Ein egozentrischer Charakter, der kurz vor seinem 41. Geburtstag viel zu früh
verstarb. Wer sich an einen seiner Hits erinnern mag, hier der Link zu einer schönen Symphonic-Version: https://www.youtube.com/watch?v=JyRPH0cfMeg
Erst einmal in meinem Leben war ich in Wien. Ich weiß, dass dies eine Schande sein könnte. Aber … großes ABER … meine Hirnwindungen sind mit dem dortigen Wiener Schmäh offensichtlich nicht kompatibel. Ich bekomme Schüttelfrost in den Synapsen, wenn ich diese Melange aus Dialekt und Umgangs-
sprache wahrnehme. Ich schäme mich dafür, habe aber bislang keine Idee, wie ich das abgestellt bekomme.
Für die nächsten zwei Tage soll und darf das kein Thema sein, denke ich, während ich aus dem Flieger steige. Der Taxifahrer, offensichtlich ein Nicht-Wiener, fährt mich ohne Störgeräusche zum Hotel. Das Wiedersehen mit ganz vielen Kolleginnen und Kollegen aus der Szene der Vortragsredner entlohnt mich für die Reise in die von mir ungeliebte Stadt.
Am Abend steht eine Entscheidung an: Genussvoll mit den Freunden im Hotel abhängen oder der Stadt eine Chance geben. Ich entschied mich für Letzteres. Ich hatte eine Empfehlung eines Kollegen auf eine Wiener Institution aufgeschnappt – dem Plachutta, wo man angeblich den Weltbesten Tafelspitz serviert bekommt. Die Bildersuche auf Google vermittelte mir das Gefühl, dass ich mich dort zumindest kulinarisch wohlfühlen könnte. Insbesondere das Szenario mit den verschiedenen Kupferpötten, die auf dem Tisch serviert wurden, setzte mich in Bewegung – meine AirPods (Kopfhörer) in der Tasche, falls die Ohren zu bluten
begännen 🙂
Ich kehrte ein, ins Plachutta Hietzing. Eigentlich kein Platz mehr frei, schon gar nicht ohne Reservierung. Trotzdem schien der Restaurantleiter ein Gespür dafür zu haben, wie sich echter Hunger anfühlt. Man schafft mir Platz. Ich neige dazu, einen Teil meiner Denkschubladen zu pulverisieren. „Eine Flasche Gemischter Satz (eine Cuvee aus aus Grünem Veltliner, Welschriesling, Weißburgunder und Chardonnay) und den Tafelspitz bitte“, so meine Order.
Der Wein wurde mir prompt serviert … sechs weitere werden folgen – nicht im Lokal, sondern in den nächsten Tagen, nach dieser Niederschrift.
Impressionen und die Erinnerungen an diesen besonderen Abend, motivieren mich zum spontanen Online-Order. Zurück zum Abend: Ich verliere mich in der Speisekarte und der Geschichte des Hauses.
Website Plachutta:
https://www.plachutta-hietzing.at
Während ich anschließend die Erlebnisse des Tages als „Abendseiten“ in mein Notizbuch fließen lasse, erwärmt mich das Glas des „Gemischten Satzes“ für den Tafelspitz. Ich glaube, den Sud dieser Spezialität schon in der Nase zu haben — ob der gesehen Bilder oder des Duftes, den ich aus der Küche wahrzunehmen glaube.
Was anschließend als Szenario vor mir auf den Tisch inthronisiert wird, übersteigt meine Erwartungen — an Augen, Nase, Gaumen und Magen. Das war kein Dinner — das war eine Offenbarung.
Ich bin versöhnt!!! Mit dieser Stadt und seinen Menschen, deren Selektion ich beim Genuss des Tafelspitz im Plachutta ein wenig studieren durfte.
Zeitsprung – 23. März bis 1. April 2023 (in unserem Nest)
Beseelt durch das erlebt-genossene Tafelspitz-Ritual hatte ich mir vorgenommen, alle Kupferpötte in unserem „Nest“ von ihrer Patina zu befreien, sprich sie
aufzupolieren. Unweit des Lacanche-Herdes, unterhalb, auf und oberhalb der Werkbank zähle ich 43 Töpfchen, Pfännchen und deren großen Geschwister.
Um den eigenen Handlungsdruck zu erhöhen, terminiere ich ein sonntägliches Early-Dinner mit meiner Mum und meinem Freund Helmut (Änne’s Partner), für den 2. April 2023.
Jeden Tag vier Teile gewienert, so meine Hochrechnung. Vier marketing-technisch angeteaserte Kupfer-Reinigungs-Zaubermittel bereichern seitdem unseren Haushalt. Eine drohende Sehnenscheiden-Entzündung ließ mich beinahe eine gebrauchte Sandstrahl-Anlage bei Ebay ordern.
Erkenntnis: Ohne Fleiß kein Preis bzw. kein Tafelspitz-Szenario wie im Plachutta genossen. Und da reden wir lediglich über das Wienern der Küchengeräte :), für dieses Signatur-Gericht aus der Hauptstadt unserer österreichischen Nachbarn.
Ready to Rumble
Am Sonntag, dem 2.April 2023 ging es an den Herd. Für das Rezept zum Tafelspitz möchten ich keinen Schreibplatz vergeuden. Da findet ihr genügend
Anregungen im Netz.
Ich würde euch ermutigen wollen, euch die Zeit zu nehmen und auch die Beilagen wie Rösti und Rahmspinat nah am Original zu brutscheln. Das macht schon alles Sinn in dieser Kombination. Auch mit den kleingeschnittenen Pfannkuchen-Streifen im Vorsuppen-Sud und den Markknochen.
Was mich total geflasht hat, war der Apfelkren. Ein Püree aus säuerlichen Äpfeln und frischem Meerrettich – einfach und kongenial.
Die Schnittlauch-Sauce, die ihr in den meisten Rezepten finden werdet, habe ich durch eine Gourmet-Remoulade ersetzt. Das Rezept habe ich dieser Seite
entnommen: https://www.chefkoch.de/rezepte/1300431235136361/Gourmet-Remoulade.html
Das genossene Gericht und die gemeinsam genossene Zeit, war jeder Minute der gefühlten 400 Minuten Wiener-Zeit (fürs Pötte-Wienern) wert. Wobei ich bislang tatsächlich nur die Hälfte unseres
Kupfer-Ensemble geschafft bzw. Lust dazu gehabt habe. Gut Ding will halt Weile haben. Genauso wie die Liebe zur (bis dato) ungeliebten Stadt.
Meine Erkenntnis: Die Liebe ging mal wieder durch den Magen … und … Essen verbindet.
Über 200 Jahre ist er alt, der Ausspruch von Matthias Claudius (1740-1815):
„Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen. Drum nähme ich den Stock und Hut und tät das Reisen wählen.“
Wie wahr! Und wenn man dazu unseren Leitspruch „Koche und trinke nichts, worüber du keine Geschichte erzählen kannst“ beherzigt, dann wird ein
Schuh draus, dann kommt man zu Geschichten wie dieser hier.
Ich hebe mein Glas auf Matthias Claudius, auf Falco und auf den Koch Ewald Plachutta, der diese Institution im Herzen von Wien gründete.
PS: Falls jemand von euch das Geheimnis des ultimativen, mühelosen Kupferreinigungs-Konzeptes in sich birgt … hier treffen demnächst ein paar Flaschen
„Gemischter Satz“ ein – ich wäre bereit zu tauschen 🙂
Noch ein PS: In unserem Souterrain schlummern weitere 40 Teile Kupfergedöns, die sich über neuen Glanz freuen würden.
Vielleicht sollten wir im Sinne von Tom Sawyer’s Gartenzaun-Streich-Geschichte eine Kupfer-Reinigungs-Session in unserem Gemäuer initiieren 🙂
In diesem Sinne mit kulinarischen Grüßen
eure Kitchen-StoryTeller