Ermöglichung digitaler Mitgliederversammlungen
Text: Christina Herbrand, LL.M.
Was ist eine Mitgliederversammlung?
Die Mitgliederversammlung ist das oberste Organ eines Vereins. Sie entscheidet unter anderem über die Bestellung und Kontrolle des Vorstands und über Änderungen der Vereinssatzung. Während der Corona-Pandemie konnten Mitgliederversammlungen auch im Wege der elektronischen Kommunikation stattfinden. Die entsprechende Corona-Bestimmung ist Ende August 2022 ausgelaufen. Danach mussten Mitgliederversammlungen grundsätzlich wieder als Präsenzveranstaltungen stattfinden. Digitale Mitgliederversammlungen waren nach Auslauf der Corona-Regelung nur ausnahmsweise — nämlich mit entsprechender Ermächtigung in der Vereinssatzung oder mit Zustimmung aller Mitglieder — zulässig. Ohne Satzungsregelung und ohne Zustimmung aller Mitglieder war die Präsenzversammlung zwingend. Der Deutsche Bundestag hat nun ein Gesetz zur Ermöglichung digitaler Mitgliederversammlungen erlassen. Das Gesetz ist zum 21.03.2023 in Kraft getreten.
Was ist neu?
Seit dem 21.03.2023 sind digitale Mitgliederversammlungen auch ohne Satzungsermächtigung und auch ohne Zustimmung aller Vereinsmitglieder möglich. Die Neuregelung unterscheidet zwischen hybriden und virtuellen Mitgliederversammlungen. Bei einer hybriden Mitgliederversammlung findet sich ein Teil der Mitglieder in Präsenz am Versammlungsort zusammen, während andere Mitglieder zeitgleich virtuell an dieser teilnehmen. Bei einer virtuellen Mitgliederversammlung gibt es keinen Versammlungsort. Die virtuelle Mitgliederversammlung findet komplett digital statt, ohne Präsenz an einem bestimmten Versammlungsort.
Was sind die Voraussetzungen für eine hybride Mitgliederversammlung?
Die Entscheidung, ob eine hybride Mitgliederversammlung einberufen bzw. zugelassen wird, hat das die Mitgliederversammlung einzuberufende Organ. Im Regelfall ist das der Vereinsvorstand. Dieser entscheidet bei der Einberufung der Mitgliederversammlungen im eigenen Ermessen, ob er eine hybride Mitgliederversammlung zulässt.
Was sind die Voraussetzungen für eine virtuelle Mitgliederversammlung?
Die Vereinsmitglieder können beschließen, dass künftige Mitgliederversammlungen auch als virtuelle Mitgliederversammlungen einberufen werden können. Eine virtuelle Mitgliederversammlung setzt also zunächst einen Beschluss der Vereinsmitglieder voraus, der zu künftigen virtuellen Mitgliederversammlungen ermächtigt (sogenannter Ermächtigungsbeschluss).
Dieser Ermächtigungsbeschluss ist auf einer regulären (oder hybriden) Mitgliederversammlung zu fassen. Ob dann auf der Basis eines solchen Ermächtigungsbeschlusses eine virtuelle Mitgliederversammlung abgehalten wird, entscheidet das für die Einberufung zuständige Organ, also regelmäßig der Vorstand.
Was muss der Vorstand bei der Einberufung zu einer digitalen Mitgliederversammlung beachten?
Beruft der Vorstand eine hybride oder virtuelle Mitgliederversammlung ein, so muss bei der Einberufung auch angegeben werden, wie die Mitglieder ihre Rechte im Wege der elektronischen Kommunikation ausüben können. Dabei ist die neue Gesetzesregelung technikoffen, das heißt, dass digitale Mitgliederversammlungen nicht zwingend in Form von Videokonferenzen stattfinden müssen. Auch Telefonkonferenzen, Chats und Abstimmungen per E-Mail sind möglich.
Haben Vereinsmitglieder einen Anspruch auf eine virtuelle oder hybride Mitgliederversammlung?
Einen Anspruch auf eine hybride oder virtuelle Mitgliederversammlung haben einzelne Vereinsmitglieder grundsätzlich nicht. Zuständig ist das die Mitgliederversammlung einzuberufende Organ. So entscheidet grundsätzlich der Vorstand des Vereins, ob eine hybride oder — auf Basis eines Ermächtigungsbeschlusses — eine virtuelle Mitgliederversammlung zugelassen wird oder nicht. Ein Anspruch auf eine virtuelle oder hybride Mitgliederversammlung kann durch eine Satzungsregelung entstehen. Dann muss in der Satzung ausdrücklich geregelt sein, dass Mitgliederversammlungen auch hybrid und/oder komplett virtuell stattfinden können.
Was sind die Vorteile digitaler Mitgliederversammlungen?
Digitale Mitgliederversammlungen helfen Zeit und Kosten zu sparen. So können Raumkosten wegfallen oder sich verringern. Vereinsmitglieder können etwaige Anfahrtskosten und Anfahrtszeit sparen. Bei Abstimmungen können Online-Formulare zu einer schnelleren und fehlerfreieren Auszählung führen. Der Verein stellt sich nach innen und nach außen als moderner Verein dar. Mitgliedschaftsrechte können gestärkt werden, indem auch solche Vereinsmitglieder an Mitgliederversammlungen teilnehmen können, denen das Anreisen zum Versammlungsort nicht oder nur schwer möglich ist (z. B. aus gesundheitlichen oder terminlichen Gründen).
Was sind die Nachteile digitaler Mitgliederversammlungen?
Vereine müssen die technischen Voraussetzungen für digitale Mitgliederversammlungen schaffen. Für die digitale Teilnahme an einer Mitgliederversammlung müssen auch die Vereinsmitglieder die technischen Voraussetzungen haben oder schaffen. Die Geselligkeit und der damit verbundene ungezwungene Austausch fehlen.
Gibt es Tipps für die digitale Mitgliederversammlung?
Vereinsmitglieder sollten sich mit ihrem Klarnamen (Vor- und Zuname) als Username anmelden, um identifizierbar zu sein.
Sind auch digitale Vorstandssitzungen möglich?
Die neuen Vorschriften zur digitalen Mitgliederversammlung gelten für Vorstandssitzungen entsprechend.
Was muss man sich für Vereine nun merken und was ist zu tun?
Wenn eine Vereinssatzung noch keine digitale Mitgliederversammlung zulässt, gilt Folgendes:
› Ob eine hybride Mitgliederversammlung einberufen wird, entscheidet grundsätzlich der Vorstand.
› Für eine virtuelle Mitgliederversammlung müssen die Vereinsmitglieder zunächst einen Ermächtigungsbeschluss fassen. Auf Basis des Ermächtigungsbeschlusses entscheidet dann der Vorstand, ob eine virtuelle Mitgliederversammlung einberufen wird.
› Beruft der Vorstand eine hybride oder virtuelle Mitgliederversammlung ein, so muss bei der Einberufung auch angegeben werden, wie die Mitglieder ihr Rechte im Wege der elektronischen Kommunikation ausüben können.
› Soll für Vereinsmitglieder ein Anspruch auf hybride und/oder virtuelle Mitgliederversammlungen geschaffen werden, so muss dies in der Vereinssatzung stehen.
Es ist ratsam, Vereinssatzungen dahingehend zu überprüfen, ob hybride und/oder virtuelle Mitgliederversammlungen bereits zugelassen sind. Enthält die Vereinssatzung keine Regelung zur hybriden oder virtuellen Mitgliederversammlung und soll den Vereinsmitgliedern ein Anspruch auf
digitale Mitgliederversammlungen eingeräumt werden, so ist die Satzung zu ändern. Eine Satzungsänderung erfolgt durch Beschluss der Mitgliederversammlung. Für den Beschluss ist grundsätzlich eine ¾-Mehrheit erforderlich. Die Satzungsänderung ist für ihre Wirksamkeit
beim Vereinsregister anzumelden. Die Anmeldung der Satzungsänderung beim Vereinsregister ist öffentlich zu beglaubigen. Satzungsregelungen können hybride und virtuelle Mitgliederversammlungen auch ausschließen oder auf bestimmte Tagesordnungspunkte beschränken.
Christina Herbrand ist Rechtsanwältin und Notarin in Bocholt und Inhaberin der KANZLEI HERBRAND. Über die MÜ12 Verlag GmbH erscheint ihre Kolumne Law & Lipstick. Hier schreibt sie regelmäßig über aktuelle wirtschaftsrechtliche Themen.